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Meinungsverschiedenheiten unter vernünftigen Menschen, Teil 2

Jeden Freitag veröffentlichen wir einen kurzen Beitrag von Randall Wray, der schrittweise eine umfassende Theorie aufbaut, wie Geld in souveränen Ländern "funktioniert". Die Beitragsserie entstammt der Einführung in die "Modern Monetary Theory" (MMT) von Randall Wray aus dem Jahre 2011 auf der Website „New Economic Perspectives“ und wurde von Michael Paetz und Robin Heber ins Deutsche übersetzt. Zudem wird Vorstandsmitglied Dirk Ehnts jeden Freitagabend von 19-20 Uhr auf Facebook Fragen zum Beitrag der Woche beantworten. Ihr könnt uns natürlich auch gerne Fragen über das Emailformular (unten auf dieser Seite) schicken.


Wir setzen diese Woche unsere Auseinandersetzung mit den Kommentaren zum Beitrag MMT für Österreicher fort. Carneys meinte, er könne die MMTler mit seinem Babysitter-Modell korrigieren:


Carney: Die Art und Weise, wie die Leute der MMT über die Wirtschaft sprechen, führt zu einer Menge Verwirrung. Das beste Beispiel ist die Behauptung, dass der private Sektor nur "netto sparen" kann, wenn die Regierung ein Haushaltsdefizit macht. Das ärgert und verwirrt die Leute, denn es erweckt den Eindruck, dass die Menschen ohne eine Regierungsverschuldung kein Geld zur Seite legen können. Wenn die MMT wirklich so etwas behauptet, wäre sie lächerlich. Sie und ich sind durchaus in der Lage zu sparen, unabhängig davon, wie sich die Ausgaben und Einnahmen der Regierung ausgleichen.


John behauptet, die MMT "erwecke den Eindruck", dass "Menschen" nicht "sparen" können? Warum sollten wir diesen Eindruck erwecken? Die MMT scheint mir genau das Gegenteil davon zu sagen? Wenn John "verärgert" ist, liegt das wohl daran, dass er sich nicht genau liest, was wir tatsächlich schreiben?


Nun, John, wenn Sie sagen wollen, dass Sie ein viel besserer Autor sind als ich, schön. Nur zu. Vielleicht ist das, was ich schreibe, aber auch einfach jenseits des Fassungsvermögens des typischen MMR-Bloggers. Ich kann mich daran erinnern, wie viele Leute behaupteten, dass ein bestimmter MMR-Blogger ein viel besserer Schreiber sei, als irgendjemand bei New Economic Perspectives und daher viel besser in der Lage sei, MMT zu erklären - nur um später herauszufinden, dass er das meiste von MMT ablehnt und vieles davon missversteht.


Und wenn Carney und MMR mit den drei Gleichgewichten (Anm. der Red.: gemeint sind die Finanzierungssalden) richtig lagen, dann bedeutet das, dass Wynne Godley falsch liegen muss. Ich habe mit Wynne zusammengearbeitet und im Gegensatz zu den MMR-Leuten habe ich mit ihm publiziert (wir waren die ersten überhaupt, die ab 1998 vor dem kommenden globalen Finanzkollaps gewarnt haben). Und ich führt ihn in die MMT ein. Er begann ein "regierungszentriertes" Lehrbuch zu schreiben, beginnend mit einem Kapitel "Steuern treiben Geld". Leider erlebte er nicht mehr, wie dieses Buch Früchte trug, aber er hat viele der Ideen in seine Analyse aufgenommen. Und wir MMTler sind Wynne zu großem Dank verpflichtet, weil er uns geholfen hat, die Finanzierungssalden zu verstehen.


Carney: Das Problem dabei ist, dass die korrekte Definition von Sparen genau den passiven Akt des Nichtausgebens für Konsumgüter beschreibt. Sie legt nicht fest, wie die Erlöse aus diesem Sparen verwendet werden sollen, ob zum Erwerb von Sach- oder Geldvermögen. Sparen wird in der korrekten Buchhaltung als Mittel beschrieben, die aus dem Einkommen stammen, weil sie aus dem Einkommen gespart werden. Die letztendliche Verwendung dieser Mittelquelle wird ordnungsgemäß als Mittelverwendung beschrieben - unabhängig davon, ob diese Verwendung in Form einer Bankeinlage, einer Anleihe, einer Aktie, einer neu produzierten Wohnimmobilie oder einer neu produzierten Anlage erfolgt. Der Einsatz oder die Verwendung von Geldern ist getrennt vom Akt des Sparens selbst. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die konsolidierte Bilanz des privaten Sektors nicht nur die Sicht auf das Sparen verschleiert, wie es innerhalb einer bestimmten Rechnungsperiode getrennt nach Haushalts- und Unternehmenssektor zustande kommt, sondern auch die Sicht auf das gesamte Sparen des privaten Sektors, wie es vollständig in die Haushaltsbilanz projiziert wird, wenn es als kumulierte Größe über eine Reihe solcher Rechnungsperioden erfasst wird. Im Ergebnis verdeckt die konsolidierte Darstellung des Privatsektors innerhalb des Modells der sektoralen Finanzierungssalden die Messung der Kernkomponente des Sparens.


MMT geht also nicht darauf ein, wozu die Ersparnisse verwendet werden? Schauen wir mal, was ich dazu geschrieben habe:


Aus Beitrag 21: Staatliche Haushaltsdefizite und der „zweistufige“ Prozess des Sparens

(...) wie John Maynard Keynes argumentierte, ist das Sparen eigentlich ein zweistufiger Prozess: Zunächst entscheidet man für ein gegebenes Einkommen, wie viel man sparen möchte, und dann für eine gegebene Ersparnis, in welcher Form man diese halten wird. Wie können wir sicher sein, dass das staatliche Haushaltsdefizit, das zu einer Vermehrung von Forderungen an den Staat führt, mit den Portfolio-Präferenzen vereinbar ist, selbst wenn die endgültige Sparposition des nichtstaatlichen Sektors mit den Sparwünschen vereinbar ist? Die Antwort lautet, dass die Zinssätze (und damit die Vermögenspreise) angepasst werden, um sicherzustellen, dass der nichtstaatliche Sektor seine Ersparnisse gerne im bestehenden Vermögensbestand hält.


Nun gibt es eine Menge verschiedener Definitionen des Begriffs "Sparen". Ich habe sogar einen Zeitschriftenartikel darüber geschrieben (er ist kurz und nicht allzu komplex: "What is Saving, and Who Gets the Credit (Blame)?", Journal of Economic Issues, vol. 26, no.1, March 1992, pp. 256-262). Um es kurz zusammenzufassen: Bei New Economic Perspectives bevorzugen wir den Ansatz des sektoralen Gleichgewichts von Godley, in dem er das Sparen des privaten Sektors als "Nettoakkumulation von finanziellen Vermögenswerten" definiert, unter Verwendung der Daten aus den Finanzierungskonten (Net Accumulation of Financial Assets = NAFA).


Normalerweise verwenden Ökonomen Einkommensdaten und damit Einkommensseite zur Berechnung des BIP (National Income and Product Accounts = NIPA). Die Ersparnis ergibt sich hier als Residuum: das erhaltene, aber nicht konsumierte Nettoeinkommen (ich werde diese Definition weiter unten bei der Diskussion des MMR-Ansatzes verwenden). Theoretisch müssten beide Definitionen zu annähernd demselben Ergebnis führen; in der Praxis tun sie das aber nicht, weil die Einkommensdaten geschätzte Werte enthalten. Godley bevorzugte die Finanzierungskonten, aber auch diese mussten sorgfältig angepasst werden, um sicherzustellen, dass jede Ausgabe tatsächlich finanziert wird und tatsächlich "irgendwo hingeht" (Sicherstellung der Konsistenz von Bestands- und Flussgrößen). Das ist alles ziemlich verworren.


Der springende Punkt ist, dass wir alternative Definitionen des Sparens finden können, die unrealisierte Kapitalgewinne einschließen, wenn reale und finanzielle Vermögenswerte im Wert steigen. Manche wollen auch die Akkumulation realer Produktion einbeziehen - z.B. ein Landwirt, der Mais für den Eigenbedarf seiner Familie produziert und "spart", indem er Saatgut für die zukünftige Aussaat zurücklegt. All das ist in Ordnung, aber da es kein finanzielles Gegenstück hat, ist es weder in den NAFA- noch in den NIPA-Definitionen enthalten, die normalerweise in der MMT verwendet werden. Ich werde später darauf zurückkommen. Ich wollte nur klarstellen, dass es um den Empfang von Einkommen geht und dann um die Entscheidung, einen Teil davon zu sparen, so dass es sich um NAFA- oder NIPA-Sparen handeln muss, und nicht um Sparen von Realgütern in Form von Saatgut-Mais.


Kommen wir zurück zu Carneys Beschwerden und "Korrekturen" der MMT-Theorie. Carney möchte noch ein bisschen weiter gehen, indem er auf kausale Beziehungen zwischen den Salden eingeht, um hiermit angebliche MMT-Fehler zu korrigieren. Hier ist seine Kritik:


Carney: Es stimmt einfach nicht, dass staatliche Defizite aus dem Wunsch des privaten Sektors resultieren, netto zu sparen. Defizite können eine Gesamtnachfrage des privaten Sektors, mehr zu sparen als er verdient, "beherbergen", aber sie resultieren nicht aus dieser Nachfrage. Defizite resultieren aus Abstimmungen von Politikern, die mit der Realwirtschaft interagieren. Es gibt keinen kausalen Zusammenhang "auf den Pfennig genau".


Ach, wirklich? Und wieso führen Griechenland und Irland dann eine Austeritätspolitik durch und stellen im Nachhinein fest, dass die Defizite bestehen bleiben. Hier ist, was ich dazu geschrieben habe (Hinweis: Sie müssen nicht einmal über den Titel meines Beitrags hinaus lesen, um den Kern des Arguments zu verstehen):


Aus Beitrag 5: Haushaltsdefizite sind größtenteils nicht steuerbar: die große Rezession von 2007

In früheren Beiträgen haben wir die Dreisalden-Identität untersucht und festgestellt, dass die Summe der Defizite und Überschüsse in den drei Sektoren (inländische private, staatliche und ausländische) null sein muss. Wir haben auch versucht, kausale Wirkungen abzuleiten, da es nicht ausreicht, nur Identitäten zu betrachten. Wir haben argumentiert, dass das Einkommen der privaten Haushalte zwar weitgehend die Ausgaben auf individueller Ebene bestimmt, dieser Zusammenhang sich auf gesamtwirtschaftlicher Ebene jedoch umkehrt: Hier bestimmen die Ausgaben das Einkommen.

Einzelne Haushalte können sicherlich entscheiden, weniger auszugeben, um mehr zu sparen. Aber wenn alle Haushalte versuchen würden, weniger auszugeben, würde dies den aggregierten Konsum (die Nachfrage) und damit das Volkseinkommen verringern. Die Unternehmen würden letztlich ihre Produktion drosseln, Arbeitnehmer entlassen, hierdurch die Lohnsumme reduzieren und damit das Haushaltseinkommen senken. Dies ist Keynes' bekanntes "Sparparadoxon" – der Versuch, durch verringerten Konsum mehr zu sparen, wird die Ersparnisse insgesamt nicht erhöhen.

(…) Im Gefolge der globalen Finanzkrise (GFK) sind die Sozialausgaben der Regierung (z. B. für Arbeitslosengeld) gestiegen, während die Steuereinnahmen eingebrochen sind. Das Defizit ist rapide gewachsen, was zu weit verbreiteten Ängsten vor einer Insolvenz oder eines Konkurses des Staates geführt hat (ein Thema, das ebenfalls in späteren Blogs noch vertieft wird). In Folge der wachsenden Defizite wurde versucht, staatliche Ausgaben zu senken und z.T. Steuern zu erhöhen, um die Defizite zu verringern. Im öffentlichen Diskurs (z. B. der USA, Großbritannien und Griechenland) wird davon ausgegangen, dass die Haushaltsdefizite der Regierung diskretionär sind, also in deren Ermessen liegen. Ganz nach dem Motto: Wenn die Regierung sich nur genug anstrengen würde, könnte sie ihr Defizit schon abbauen.

Wie ich in früheren Beiträgen (insbesondere in Antworten auf Nachfragen) argumentiert habe, muss jeder, der vorschlägt, die öffentlichen Defizite zu verringern, bereit sein, die entsprechenden Auswirkungen auf die anderen (privaten und ausländischen) Salden zu benennen. Schließlich ergibt sich aus der Identitätsgleichung sektoraler Salden, dass das Haushaltsdefizit nur verringert werden kann, wenn gleichzeitig der Überschuss des Privatsektors oder der Auslandsüberschuss (als Kehrseite des inländischen Leistungsbilanzdefizits) schrumpft. In diesem Blog betrachten wir nun den Anstieg des Haushaltsdefizits der US-Regierung seit dem Ausbruch der GFK. Wir werden uns fragen, ob das Defizit unter diskretionärer Kontrolle, also im eigenen Handlungsspielraum der Regierung, stand bzw. stehen könnte – falls nicht, so ergeben sich Fragen bzgl. der Versuche von Defizithysterikern, die Defizite beseitigen zu wollen.


Ich werde hier nicht alle Argumente wiederholen. Carneys Ansicht scheint zu sein, dass der Kongress dafür gestimmt hat, das Defizit zu erhöhen, und dass es deshalb explodiert ist. Das ist Unsinn. Wie ich in dem obigen Beitrag gezeigt habe (welcher aus einer akademischen Arbeit bei www.levy.org hervorging) und wie viele von uns bei New Economic Perspectives gezeigt haben, war der größte Teil des Anstiegs des US-Haushaltsdefizits auf den Einbruch der Steuereinnahmen zurückzuführen - und das meiste davon hatte nichts mit den Bush-Steuersenkungen zu tun. Es gab keine Abstimmungen im Kongress, um das Defizit auf eine Billion Dollar pro Jahr zu erhöhen. Es gab ein relativ kleines Konjunkturpaket, das über zwei Jahre auslief - jeweils 400 Milliarden Dollar. Die Defizite blieben auch zwei Jahre später bestehen und waren um deutlich größer als das vom Kongress beschlossene Konjunkturpaket plus Steuersenkungen. Wann wurde beschlossen, die Defizite derart zu erhöhen?


John, listen Sie bitte die Gesetzesänderungen und deren Auswirkungen auf die Defizite auf; addieren Sie die Ergebnisse und Sie werden nicht annähernd auf die tatsächliche Ausweitung der Haushaltsdefizite kommen. Und beachten Sie, dass der größte Teil des Ausgleichs der höheren Staatsdefizite über den inländischen Privatsektor erfolgte - nicht durch den ausländischen Sektor. Mit anderen Worten: Die wachsenden staatlichen Defizite wurden größtenteils durch wachsende private Überschüsse ausgeglichen.


Haben die Amerikaner als Folge der Krise etwa nicht versucht, "netto mehr zu sparen"? Haben sie nicht beim Einkaufen gespart? Oder ist es "nur meine Phantasie, die mit mir durchgeht" (wie die Stones sagen würden), die mich einen geringeren Umsatz und vermehrte Entlassungen wahrnehmen lässt? Haben 10 Millionen Arbeiter plötzlich beschlossen, länger Urlaub zu machen? Oder haben sie ihre Jobs aufgrund einer schlechten Wirtschaftsentwicklung verloren, welche die Verbraucher dazu ermutigte, ihre Ausgaben zu kürzen, wodurch das nationale Einkommen und die Steuereinnahmen sanken, was wiederum die Staatsdefizite anschwellen ließ?

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