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Die Bilanz des Bankruns bei der SVB

Aktualisiert: 17. Mai 2023

Laut Goethe ist die doppelte Buchführung „eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes“ und in der Tat bringt sie Klarheit in finanzielle Verhältnisse, die ohne sie nicht so klar zum Vorschein treten. Doch während die doppelte Buchführung elementarer Bestandteil der Betriebswirtschaftslehre ist, ist ihr Einsatz in der Ökonomik bisher eher spärlich. Der Bankrun auf die Silicon Valley Bank (SVB) kann mit Hilfe der doppelten Buchführung sehr gut analysiert werden.


Das Grundprinzip der doppelten Buchführung ist die Abbildung der Vermögensverhältnisse eines Unternehmens differenziert nach Guthaben und Verbindlichkeiten. Damit müssen alle Buchungen (sprich Aktivitäten) immer auf beiden Seiten der Bilanz erfasst werden (allerdings über alle Bilanzen hinweg). Man spricht von Aktiva (Vermögen) und Passiva (Verbindlichkeiten).

Anhand von Abbildung 1 wird klar, dass auf der Aktiva-Seite alle Vermögensgegenstände des Unternehmens aufgeführt werden. Das ist nicht nur der Kontostand bei der Bank, sondern schließt auch alle Maschinen und bereits produzierte Güter mit ein. Dazu kommen offene Forderungen, also Zahlungen, die das Unternehmen in der Zukunft erwarten kann.


Auf der anderen Seite stehen die Verbindlichkeiten: in diesem Beispiel sehr offensichtlich ein abzubezahlender Bankkredit und noch offene Verbindlichkeiten an Lieferanten, also Zahlungen, die in der Zukunft geleistet werden müssen. Dazu kommt das Eigenkapital des Unternehmens. Es mag verwundern, dass das Eigenkapital eine Verbindlichkeit für das Unternehmens darstellt. Da ein Unternehmen immer einen Eigentümer hat, wird mit dem Eigenkapital das „freie” Vermögen abgebildet, das nach dem Verkauf aller Vermögensgegenstände und der Bezahlung aller Verbindlichkeiten übrig bleiben würde. Diesen Betrag „schuldet” das Unternehmen quasi seinem Eigentümer. Daher steht das Eigenkapital auf der Passiva-Seite.


In Summe muss die Aktiva-Seite immer gleich hoch sein wie die Passiva-Seite. Das Eigenkapital dient als Ausgleichsposten und kann im ungünstigsten Fall negativ sein. In so einem Fall übersteigen die Verbindlichkeiten das Vermögen des Unternehmens und das Unternehmen muss Insolvenz anmelden.


Die Besonderheit der Bankbilanz


Der Bilanzaufbau eines klassischen Unternehmens ist recht anschaulich nachzuvollziehen. Eine Bankbilanz ist hingegen nicht so intuitiv. Guthaben der Kunden einer Bank stellen für die Bank Verbindlichkeiten dar, da sie dem Kunden garantiert, die Guthaben jederzeit wieder abbuchen oder abheben zu können. Die Bank besitzt das Guthaben ihrer Kunden nicht. Auf der Aktiva-Seite stehen Guthaben der Bank bei der Zentralbank sowie weitere Vermögenswerte. In diesem Beispiel sind es ausschließlich US-Staatsanleihen. Dazu kommen Kreditforderungen an Kunden, die bei der Bank einen Kredit aufgenommen haben. Diese Kunden sind bekanntlich vertraglich verpflichtet, der Bank bei Fälligkeit die Kreditsumme plus Zinsen zu zahlen. Abbildung 2 zeigt den vereinfachten beispielhaften Aufbau.

Da Banken Kredite unabhängig von vorherigen Einlagen anderer Kunden vergeben, indem sie per Bilanzverlängerung Giralgeld schaffen, wird mit Hilfe der doppelten Buchführung klar, dass der Zufluss von Guthaben für eine Bank eine Art Versorgung mit Reseren darstellt. An Guthaben von Kunden verdient eine Bank kaum Geld im Gegensatz zu Krediten, allerdings braucht sie dann weniger Geld von anderen Banken oder der Zentralbank zu leihen. Gleichzeitig muss sie allerdings ihre laufenden Kosten erwirtschaften und die Einlagensicherheit für ihre Kunden garantieren. Sollte eine Bank mehr Guthaben als Kredite haben, kann sie Staatsanleihen kaufen. Da diese ausfallsicher sind und bei Bedarf schnell verkauft werden können, kann die Bank schnell ihre Liquidität erhöhen, falls es zu einem Bank run kommt.


Entgegen dem weit verbreiteten Mythos, Banken seien nur Intermediäre, zeigt sich, dass Kundeneinlagen für eine Bank ein größeres Risiko sein können als die Kreditvergabe. Hält eine Bank im Verhältnis deutlich mehr Kundeneinlagen als sie an Krediten vergeben hat, so muss sie die Einlagen der Kunden sicher und gewinnbringend anlegen.


Der Bilanzzusammenbruch der Silicon Valley Bank


Genauso eine Bilanzstruktur hatte die Silicon Valley Bank (SVB). Die hohen Einlagen der Start-Ups standen im Verhältnis wenig Kredite gegenüber, sodass die SVB den Großteil der Kundenguthaben in US-Staatsanleihen hielt.

Durch die enorm schnellen Zinserhöhungen der FED seit 2022 brach der Preis dieser früher gekauften Staatsanleihen ein. Der Wert eine Anleihe entwickelt sich immer gegenläufig zur Zinsentwicklung. So fällt der Wert niedrig verzinster Anleihen, wenn Zinsen steigen; ebenso steigt der Wert höher verzinster Anleihen, wenn Zinsen fallen. Zwar wird unabhängig von der Zinsentwicklung der vereinbarte Zins von der US-Regierung gezahlt und die Anleihe wird zum Laufzeitende auch vollständig zurückgezahlt, doch wenn das Geld kurzfristig benötigt wird, muss der niedrigere Markkurs akzeptiert werden.


Unter diesem Wertverfall der Staatsanleihen haben alle Banken aktuell zu leiden, einige mehr und andere weniger. Dies destabilisiert das Bankensystem etwas. Die Anleihen werden mark-to-market in der Bilanz geführt. Würde die Bank sie heute verkaufen, so bekäme sie dafür nur noch einen Teil des ursprünglichen Werts. Sollten nun viele Kunden gleichzeitig Geld von einer Bank abziehen, wäre die Bank gezwungen, ihre Staatsanleihen zum geringeren Marktpreis zu verkaufen. Das bei Banken an sich schon geringe Eigenkapital würde so sehr schnell negativ werden und der Bank würde die Zahlungsunfähigkeit drohen. Zudem würde der Preis der Staatsanleihen weiter fallen und eventuell noch andere Banken in eine Schieflage bringen.

Genau dieser „Zinsfalle“ ist die SVB zum Opfer gefallen. Die genauen Umstände sind noch nicht bekannt, die den Run auf diese Bank ausgelöst haben, aber ihr instabiles Bilanzprofil erweckte bei vielen Kunden den Eindruck, dass ihre Einlagen bei dieser Bank nicht mehr sicher seien. Ab diesem Punkt ist ein Bankrun dann eine „self-fulfilling prophecy“; die Bank bricht zusammen, weil genügend Kunden denken, dass sie zusammenbrechen könnte. Durch den Abzug der Einlagen war die SVB gezwungen, ihre alten US-Staatsanleihen zu verkaufen und so den Wertverlust zu realisieren. Dabei schrumpfte das Eigenkapital und die Fed wurde hellhörig


Die Fed als Destabilisatorin


Der Wertverlust von Anleihen ist hauptsächlich auf die massiven Zinserhöhungen der Fed und anderer Zentralbanken zurückzuführen. Damit destabilisieren sie ein ohnehin instabiles Finanzsystem. Die ersten Banken sind dem bereits zum Opfer gefallen und es wäre nicht überraschend, wenn auch weitere Banken in Zukunft Probleme bekommen. Mit dem völlig fehlgeleiteten Versuch, die aktuelle Inflation durch Zinserhöhungen zu reduzieren, bringen die Zentralbanken Bankbilanzen kurzfristig in eine Schieflage.


Ohne Sympathie für die spekulativen Geschäfte der Banken muss hier der Finger auf die Zentralbanken gezeigt werden, da eine Destabilisierung des Finanzsystems durch Zinserhöhungen keine neue Entwicklung ist, wie Stephanie Kelton und L. Randall Wray gezeigt haben. Zusammen mit den systemdynamischen Analysen von Steve Keen zur Auswirkung von Zinserhöhung auf Bankbilanzen zeigt sich, dass die schnellen Zinserhöhungen ein enormes Risiko bergen, das insbesondere deswegen unverantwortlich ist, da die Inflation damit nicht effektiv bekämpft werden kann. Sie könnte sogar weiter befeuert werden!


Um eine größere Bankenkrise abzuwenden, müssten die Zentralbanken nun offensiv den angerichteten Schaden ausgleichen, indem sie den Banken schnell und ausreichend Liquidität zur Verfügung stellen. Das bedeutet insbesondere, dass Staatsanleihen zum Nennwert mindestens als Sicherheit bei den Zentralbanken hinterlegt werden können, um für mögliche weitere Bankruns ausreichend liquide zu sein. Doch genau das steht im Widerspruch zur aktuellen Politik des „Quantitative Tightening“, also der Verkleinerung der Zentralbankbilanz. Dennoch haben die Fed und die europäischen Zentralbanken in den letzten Wochen rasch reagiert, um zu verhindern, dass die Pleite der SVB und der Credit Suisse ein neues 2008 auslöst. Die Notkredite haben bereits einen höheren Stand als 2008 erreicht. Es bleibt zu hoffen, dass die Zentralbanken dieses Mal früher handeln und so eine globale Finanzkrise verhindern.


(von Leon Heckmann)

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