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Die Vereinten Nationen zur Jobgarantie

In Artikel 23 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: 1. Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.


Viele sind überrascht, wenn sie von diesem Artikel hören, da Arbeitslosigkeit in den meisten Ländern, darunter auch Deutschland, für einen signifikanten Teil der Bevölkerung zur traurigen Normalität geworden ist.

Nun hat sich Olivier De Schutter, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und extreme Armut, mit der Umsetzbarkeit einer Job-Garantie in einem Bericht an die General Assembly beschäftigt. Dabei hat er unter anderem mit der amerikanisch-bulgarischen MMT-Ökonomin Pavlina Tcherneva zusammengearbeitet.

Der Bericht, welcher gestern der Generalversammlung präsentiert wurde, (Link zum Video) kommt zu einem positiven Befund (Pressemeldung).



Ich habe die Zusammenfassung des Berichts folgendermaßen übersetzt:

"Der Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte erläutert, wie die Einführung einer Beschäftigungsgarantie, bei der der Staat als Arbeitgeber in letzter Instanz agiert, zur vollständigen Verwirklichung des Rechts auf Arbeit beitragen kann, indem es von einem politischen Ziel zu einem durchsetzbaren rechtlichen Recht wird. Die Beschäftigungsgarantie befasst sich mit dem Paradoxon struktureller Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, die mit wichtigen unerfüllten gesellschaftlichen Bedürfnissen einhergehen, da weder der Staat noch der Markt derzeit die öffentlichen Güter bereitstellen, die für die ökologische Gestaltung der Wirtschaft und eine blühende Fürsorgeökonomie erforderlich sind. Der Sonderberichterstatter hebt die Vorteile der Einführung der Beschäftigungsgarantie sowohl für Einzelpersonen als auch für die Gemeinschaft hervor und geht auf eine Reihe von Einwänden gegen die Idee ein. Er betrachtet die Einführung einer Beschäftigungsgarantie als wesentlichen Bestandteil des "gerechten Übergangs" und des neuen ökologisch-sozialen Gesellschaftsvertrags, der für die Erholung nach der Krise erforderlich ist." (Eigene Übersetzung)
Pavlina Tcherneva

Wie eine Jobgarantie genau aussehen könnte, um welche Art von Jobs es sich handelt und wie es um die Finanzierbarkeit der Maßnahme steht, hat Maurice Höfgen für uns hier dargelegt.

Auch er bezieht sich dabei auf die Arbeit von Tcherneva, die als Professorin am Bard College tätig ist.


Pavlina Tcherneva (Webseite) ist Autorin des Buches "The Case for a Job Guarantee" und hat zahlreiche Regierungen erfolgreich bei der Einführung solcher Maßnahmen beraten.

Der umfangreiche Bericht geht auf viele Beispiele für Jobgarantien in Argentinien, Indien und Frankreich ein und gibt Handlungsempfehlungen zur Ausgestaltung einer solchen Maßnahme. Dabei werden auch die Schwächen von einigen der gewählten Ansätze analysiert und mögliche Lösungsvorschläge aufgezeigt.


Der Bericht enthält auch Schätzungen, was für Kosten die Maßnahme verursachen würde und setzt sich mit makroökonomischen Zusammenhängen auseinander.


Pavlina Tcherneva hat gerade in Europa vielfältig zur Jobgarantie geforscht. In dem Paper "Completing the Euro: The Euro Treasury and the Job Guarantee" beschreibt sie gemeinsam mit Dirk Ehnts und Esteban Cruz Hidalgo wie die Jobgarantie ein wichtiges Puzzlestück in der Europäischen Einigung sein könnte.

Darüber hinaus hat sie im September letzten Jahres mit Aurore Lalucq, einer Ökonomin und französischen Abgeordneten des Europäischen Parlaments, ein Policy Brief zur Jobgarantie verfasst.


Auch im deutschsprachigen Raum findet die Jobgarantie mittlerweile mehr und mehr Anklang, sodass es vorstellbar ist, dass ein solches Konzept in den nächsten Jahren Einzug erhält. Die Gemeinde Gramatneusiedl in Niederösterreich, hat nach einem äußerst erfolgreichen Modellversuch die Arbeitslosigkeit im Ort beenden können.

Eine Reportage der Tageszeitung WELT zu dem Experiment schlug auch in Deutschland große Wellen. Da sie sich jedoch hinter einer Paywall verbirgt, habe ich ein ausführliches Gespräch zwischen dem Autor Jörg Wimalasena und Maurice Höfgen verlinkt.


Politisch gefordert wird sie bereits sie unter anderem vom Landesverband der Grünen in Niedersachsen, der Grünen Jugend und den Jusos.


Was die MMT in der Betrachtung von Arbeitslosigkeit von der Orthodoxie unterscheidet


Zur Normalisierung von Arbeitslosigkeit haben vor allem Volkswirte beigetragen. Viele von

ihnen halten Arbeitslosigkeit für ein geeignetes Mittel, um Preisstabilität zu herzustellen. Dies begründen sie mit der sogenannten Philipps-Kurve, welches ein vermeintliches trade-off zwischen der Arbeitslosenquote und der Inflationsrate beschreibt. Zentralbanken versuchen mit ihrer Geldpolitik ein Maß an Arbeitslosigkeit zu erreichen, dass sie als NAIRU (Non-accelerating inflation rate of unemployment) bezeichnen.

Sie versuchen ihre Leitzinsen so zu setzen, dass sie die Konjunktur und somit die Beschäftigungsraten in die von ihnen angestrebte Richtung steuern.

Dies gelingt in der Praxis nicht (Lee et al, 2018), und erste ehemalige prominente Vertreter*innen der Theorie, wie Michael Woodford, werfen bereits das Handtuch (Woodford, 2020). Darüberhinaus beweist gerade die Deutsche Geschichte, dass der vermeintliche trade off zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation, den die Philips-Kurve beschreibt, ziemlich dubios ist. Von 1961 bis 1966 hatten wir beispielsweise eine Arbeitslosenquote von unter 1% dem eine geringe Inflation von nur 2.4% bis 3.3% gegenüberstand.


Wie sich eine Jobgarantie als Handlungsempfehlung durch die MMT-Linse ableiten lässt, haben Dirk Ehnts und Maurice Höfgen 2020 in dem Text: "Von der Modern Monetary Theory zur Forderung einer Jobgarantie" beschrieben. In der Zusammenfassung heißt es:


"Analytischer Ausgangspunkt der MMT ist die Tatsache, dass der Staat das Währungsmonopol besitzt. Dieses ermöglicht ihm, die zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben benötigten Ressourcen aus dem Privatsektor zu mobilisieren. Über die Höhe der Staatsausgaben und die Höhe der Steuern entscheidet der Staat über das Ausmaß der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit. Daraus lässt sich die Forderung nach einer staatlichen universellen Jobgarantie herleiten. Die ökonomischen Implikationen der Jobgarantie betreffen unter anderem die Konjunktursteuerung, die Preisstabilität, die Kaufkraft der Währung sowie die Außenwirtschaft. (Ehnts et al, 2020)

In der dem Staat Steuern erhebt, schafft er eine Nachfrage nach seiner Währung, denn seine Bürger*innen benötigen sie, um ihre Steuerschuld zu tilgen. Dafür bieten sie ihre Arbeitskraft gegen ein Gehalt (das der Staat schöpft) in dieser Währung an und bauen Straßen, unterrichten Kinder oder betreiben Forschung. Von diesen Gehältern kaufen sie dann Häuser, Laptops oder Brötchen und schaffen dabei weitere Arbeitsplätze im Privatsektor. Falls der Staat nicht genug Geld ausgibt, finden einige Personen weder im Privatsektor noch im öffentlichen Dienst einen Arbeitsplatz.

Arbeitslosigkeit ist aus Sicht der MMT eine Verschwendung an realen Ressourcen, die der Staat als Währungsschöpfer beheben kann. Statt des NAIRU Konzepts favorisieren viele MMT-Ökonom*innen die Idee des NAIBER (Non-inflation accelerating buffer employment ratio) und beschreiben die Jobgarantie als Abnahmegarantie (buffer stock) des Staates, dem Arbeitsmarkt gegenüber. So wäre sichergestellt, dass alle verfügbaren Ressourcen verwendet werden und die Wirtschaft ausgelastet ist. Außerdem stabilisiert sie die Nachfrage in Zeiten von Rezessionen und schützt dadurch privatwirtschaftliche Arbeitsplätze, da Menschen nach Jobverlust nicht auf Arbeitslosengeld zurückfallen müssen. In diesem Zusammenhang lobt Pavlina Tcherneva auch das Kurzarbeiter*innengeld (mehr dazu). Sobald die Konjunktur wieder anzieht, können Erwerbstätige nahtlos aus der Jobgarantie in die Privatwirtschaft zurück wechseln.


Die Jobgarantie als Radikalisierungsbremse


Angesichts des AfD Sieges bei der Landratswahl in thüringischen Sonneberg, sowie einiger schauerlichen Umfrageergebnisse, möchte ich zu guter Letzt auch auf einige nicht-ökonomischen Aspekte der Jobgarantie aufmerksam machen.


"Die sozial-gesellschaftlichen Implikationen beziehen sich auf die sozialen und psychologischen Kosten, die mit unfreiwilliger Arbeitslosigkeit assoziiert werden, die Wirkungen auf die Arbeitsbedingungen im privaten Arbeitsmarkt, auf die mögliche Korrektur der Kräfteverteilungen zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen sowie auf demokratierelevante Aspekte." (Ehnts et al, 2020)


Dem jüngsten Monatsbericht der Agentur für Arbeit, vom Juni diesen Jahres kann man entnehmen, dass die Arbeitslosigkeit im Osten Deutschlands besonders hoch ist. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Arbeitslosenzahlen, wie die Tagesschau letztens eindrücklich beschrieb, in Deutschland schöngerechnet werden und daher nicht für internationale Vergleiche taugen.

Im Literaturverzeichnis habe ich einige Studien angehängt, die zeigen, dass Arbeitslosigkeit massiv zur Stärkung von politischen Extremisten führt.


In diesem und vielen weiteren Zusammenhängen hoffe ich, dass wir dem Rat des UN-Sonderberichterstatters folgen und das Menschenrecht auf Arbeit baldmöglichst verwirklichen werden, bevor es zu spät ist.


Beitrag von Klaus Diekmann https://twitter.com/The_real_Iskra


Ein sehr herzliches Dankeschön für die Aufmerksamkeit aller, die es bis hierhin geschafft haben. Bei der Samuel-Pufendorf-Gesellschaft für politische Ökonomie e.V. setzen wir uns für Aufklärung über unsere „public money“ Welt ein. Vom 9. bis zum 11. September, werden wir zu diesem Zwecke die 3. Europäische MMT-Konferenz an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin veranstalten. Die Anmeldung ist dort freigeschaltet. Wenn sie uns in unserem Zielen unterstützen möchten, können sie uns gerne beitreten oder an die Gesellschaft (steuerlich absetzbar) spenden. Bei Fragen, Kritik und/oder Anmerkungen, sind wir durch das Kontaktformular auf der Webseite zu erreichen.


Literaturverzeichnis


Bolet, Diane (2020): Local labour market competition and radical right voting: Evidence from France. In European Journal of Political Research 59 (4), pp. 817–841.


Cruz-Hidalgo, E., Ehnts, D. h., & Tcherneva, P. R. (2019). Completing the euro: The Euro Treasury and the Job Guarantee. Revista de Economía Crítica.


Ehnts, D. und M. Höfgen (2020), Von der Modern Monetary Theory zur Forderung einer Jobgarantie, Momentum Quarterly, 9(4), 227-242.


Engler, Sarah; Weisstanner, David (2021): The threat of social decline: income inequality and radical right support. In Journal of European Public Policy 28 (2), pp. 153–173.


Emmenegger, Patrick; Marx, Paul; Schraff, Dominik (2015): Labour market disadvantage, political orientations and voting: how adverse labour market experiences translate into electoral behaviour. In Socio-Economic Review 13 (2), pp. 189–213.


Kurer, Thomas (2020): The Declining Middle: Occupational Change, Social Status, and the Populist Right. In Comparative Political Studies 53 (10-11), pp. 1798–1835.


Lee, K.-S., and R. Werner. (2018). ‘Reconsidering Monetary Policy: An Empirical Examination of the Relationship Between Interest Rates and Nominal GDP Growth in the U.S., U.K., Germany and Japan.' Ecological Economics 146: 26–34


Woodford, M. (2020), Effective demand failures and the limits of monetary stabilization policy, NBER WP 27768,



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