Eine Antwort auf Stefan Kooths
Stefan Kooths ist VWL-Professor an einer Privatuniversität sowie ehemaliger Interims-Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und Vorsitzender der Hayek-Gesellschaft.
Mitte Dezember hat er sich in eine Diskussion auf Twitter/X mit Konstantin Gerber, Malte Kornfeld und mir begeben. Es ging um die Frage der Staatsfinanzierung, bei der Stefan Kooths die These vertrat, dass sich Staaten nur über Steuern finanzieren können. Wir sind als MMT-Vertreter der Ansicht, dass ein Staat Geld schöpfen muss, um Ausgaben (in eigener Währung) zu tätigen.
Von Klaus Diekmann
Auch wenn die Diskussion auf beiden Seiten etwas hitzig geführt wurde, bin ich Herrn Kooths dankbar, dass er seine Ansichten in einem längeren Tweet dargelegt hat. Zudem hat Kooths einen Text angehängt hat, in dem er das Geldsystem aus seiner Sicht erklärt. In diesem Text soll es insbesondere um seine These: "Als realwirtschaftlicher Akteur verwendet der Staat Geld wie andere Nichtbanken auch" gehen.
Offizielle Quellen zur MMT
Große Einigkeit bestand darin, dass man sich auf Quellen von Institutionen wie der Bundesbank, EZB oder dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beziehen sollte. Daher habe ich beschlossen, in Form eines Blogposts zu antworten, da ich hier solche Quellen besser zitieren und verlinken kann.
Zunächst möchte ich hervorheben, dass die von der MMT vorgebrachte Beschreibung des Geldsystems auf solchen offiziellen Quellen basiert. Was Kooths als „krude Theorien“ bezeichnet, wird vom Großteil der akademischen Welt und den meisten Zentralbanken geteilt, wie man auf S. 7 des Sachstandsberichts des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags „Modern Monetary Theory - Eine Übersicht“ erfahren kann.
Dirk Ehnts hat auf seinem Blog eine Einordnung zu diesem Bericht geschrieben, in dem er unter anderem darauf hinweist, dass die MMT als deskriptive Analyse des Geldsystems keine Politikempfehlungen macht. (Dass MMT-Vertreter*innen Politikempfehlungen auf Basis der MMT abgeben und diskutieren, sollte klar sein.)
Fahren wir fort.
Kann der Staat seine Ausgaben durch Steuerzahlungen finanzieren?
Nein. Wie die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages im Bericht "Abwicklung des Zahlungsverkehrs des Bundes über die Deutsche Bundesbank und Wirkungen auf Zentralbankguthaben und Buchgeldmenge" beschreiben, führt die Generalzolldirektion (eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministerium der Finanzen) im Namen der Bundesregierung Konten bei der Bundesbank.
Daraus geht hervor, dass die Bundesbank Zahlungen für die Bundesregierung vornimmt (sofern diese im Haushalt beschlossen wurden). Dabei bucht die Bundesbank jene Zentralbankkonten der Geschäftsbanken hoch, bei denen die Begünstigten ihre Konten führen. Dieser Vorgang erhöht die Bankeinlagen bei den Empfänger*innen der Zahlungen (welche Kunden der Geschäftsbank sind). Der Kontostand der Bundeskasse spielt keine Rolle, da das Konto im Verlauf eines Tages überzogen werden kann. Man kann daher kaum von einer „Finanzierung“ dieser Zahlungen durch Steuern oder Anleiheverkäufe sprechen. Es werden schlicht auf Veranlassung der Regierung Konten der Geschäftsbanken bei „hochgebucht“ (Kontostände erhöht). Näheres dazu kann man im Sachstandsbericht „Zulässigkeit der Überziehung des Bundeskontos bei der Deutschen Bundesbank“ erfahren:
Bis zum Ende des Tages muss das Konto laut Art.123 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) wieder ausgeglichen (auf Null gebracht) werden. Falls dies nicht geschehen sollte, muss die nationale Zentralbank die Zahlung verweigern.
Um das Konto wieder auszugleichen, kann die Regierung:
Staatsanleihen verkaufen und die Verkaufserlöse zu diesem Zweck verwenden
und/oder Steuereinnahmen anrechnen lassen.
Banken reduzieren im Fall einer Steuerzahlung die Bankeinlagen des Steuerzahlenden und überweisen dafür Zentralbankgeld, mit welchem das Konto der Regierung wieder ausgeglichen werden kann.
Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass der Art.123 AEUV eine juristische (und damit politische) Regel und keine ökonomische Notwendigkeit ist. Eine Zentralbank könnte mit einem anderen Regelwerk problemlos im Namen der Regierung Konten hoch/runterbuchen. Schließlich ist das Eurosystem der Zentralbanken (ESZB, zu dem u.a. die Europäische Zentralbank und die Bundesbank gehören) der einzige Herausgeber des Euros. In einer Stellungnahme der EZB-Präsidentin hierzu heißt es:
"As the sole issuer of euro-denominated central bank money (i.e. banknotes and bank reserves), the Eurosystem will always be able to generate additional liquidity as needed to fulfil its mandate."
Häufig wird das entsprechen der in Art.123 AEUV postulierten Regel (also das anschließende Hochbuchen des Regierungskontos) mit einer „Finanzierung der Ausgaben“ gleichgesetzt. Dieser Vergleich hinkt jedoch, wie wir im Folgenden sehen werden. Es sind nämlich die Geschäftsbanken, die an das staatlich herausgegebene Zentralbankgeld kommen müssen, um Steuerzahlungen durchführen oder Staatsanleihen kaufen zu können (und nicht andersherum der Staat, der an das Geld der Banken will). Dies können sie auf drei Wege tun:
Wenn die Bundesregierung am Morgen des Geschäftstages Ausgaben tätigt und ihr Konto überzieht, erhalten die Geschäftsbanken Zentralbankgeld. Mit diesem können sie bis zum Ende des Tages Staatsanleihen kaufen oder Steuern zahlen, sodass die Regierung Art.123 AEUV entspricht. (Damit finanziert die Regierung durch ihre Ausgaben die Zahlung von Steuern und den Kauf von Anleihen, nicht andersherum.)
Die Banken können sich bei den Refinanzierungsfazilitäten des ESZBs gegen entsprechende Sicherheiten Zentralbankguthaben leihen (welches dafür neu geschaffen wird).
Und sie können Staatsanleihen (und einige andere Wertpapiere), die sie halten, an das ESZB verkaufen. Dieses schöpft beim Kauf neues Zentralbankgeld (wie man der Kurzinformation: Ankauf von Anleihen durch die Europäische Zentralbank des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags entnehmen kann), um den Verkaufspreis zu entrichten. Hierbei wird das Prinzip „rechte Tasche, linke Tasche“ (mit dem der Staat seine Regierung über dem Umweg der Geschäftsbanken mit neu-geschöpften Zentralbankgeld versorgt) besonders deutlich.
Der Prozess des Verkaufs von Staatsanleihen wird vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages im Bericht „Verfahren und Wirkungen bei der Emission von Bundeswertpapieren“ beschrieben.
Schlussendlich bleibt die Erkenntnis, dass die staatliche Exekutive den Geschäftsbanken Zentralbankgeld leiht oder auszahlt (und dabei neues Zentralbankguthaben schöpft), damit diese ihr die eigenen Anleihen abkaufen und Steuerzahlungen durchführen können. Es gilt auch hier das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“, welches durch das bestehende Regelwerk etabliert wird. Der Staat muss, wie die MMT es korrekterweise beschreibt, (in eigener Währung) erst Geld schöpfen und an Private verteilen, bevor sie ihm damit Anleihen abkaufen oder Steuern bezahlen können.
Dies ist die einzigartige Rolle, die der Staat als Währungsherausgeber hat: Er kann seine Ausgaben (in eigener Währung) niemals durch Steuern „finanzieren“. Das wäre in etwa so, als würde man ein Kino eröffnen und dann versuchen, erst Kinotickets einzunehmen, um sie anschließend herausgeben zu können.
Fazit
Ich freue mich, dass es zu diesem Austausch gekommen ist und hoffe auf eine mögliche Fortsetzung in Zukunft. Stefan Kooths hat in seinen Diskussionsbeiträgen und seinem verlinkten Text im Gegensatz zur Modern Monetary Theory (MMT) keine einzige offizielle Quelle zitiert, um seine Ansichten zu untermauern. Es wäre meiner Meinung nach sinnvoll, dass zukünftige Diskussionen auf Zitaten aus solchen Quellen basieren, um den wissenschaftlichen Standards gerecht zu werden.
Einige offizielle Stellen, allen voran die Bank of England, versuchen mittlerweile sehr proaktiv gegen solche „popular misconceptions“ anzugehen. Die BoE stellt sich dabei ausdrücklich der Sicht vieler VWL-Lehrbücher und vermeintlicher Topökonom*innen entgegen, die Gegenteiliges behaupten.
Auch Deutsche Bundesbank hat bereits 2017 mit ihrem Text „Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geldschöpfungsprozess“ nachgezogen. Falls Interesse besteht, Informationen zu weiteren Ländern zu erhalten, kann dies beispielsweise durch einen Blick auf die Veröffentlichungen der Zentralbanken von Schweden und Neuseeland geschehen. Eine auf Bilanzen beruhende Darstellungen dem wie die schwedische Regierung Geld schöpft, wenn sie Ausgaben tätigt, haben Dirk Ehnts und Jussi Ora vor ein paar Tagen veröffentlicht. Unabhängig von der Perspektive bleibt die Welt, wie sie in diesem Zusammenhang beschrieben wird, diejenige, in der wir leben. Es wäre wünschenswert, diese Fakten als Grundlage für weitere Diskussionen anzuerkennen.
Der Grund für das sparsame Zitieren offizieller Quellen in Lehrbüchern und Texten gewisser VWL-Professor*innen bleibt ein Mysterium. Es scheint, dass sich gewisse theoretische Annahmen nicht mit den realen Abläufen im Geldsystem vereinen lassen. Es bleibt die Frage, welche Theorien wirklich „krude“ sind. Wer sich auf Margaret Thatcher Theory (MTM) beruft, dann aber keine Papiere nennen kann, wie denn nun die deutschen Staatsausgaben „in echt“ durchgeführt werden, oder die MMT, mit ihrer Sicht von Bilanzen und Dutzenden von Verweisen auf Institutionen und Gesetzestexte (vgl. Ehnts 2020 und 2023).
Ich möchte mich sehr herzlich bei Jannik Strobl und Dirk Ehnts fürs Gegenlesen und ihr Feedback bedanken.
Bibliographie
Deutsche Bundesbank (2017): Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geldschop̈fungsprozess, Monatsbericht April 2017, S.15–36
Deutscher Bundestag, wissenschaftliche Dienste (2015): Kurzinformation
Deutscher Bundestag, wissenschaftliche Dienste (2020): Verfahren und Wirkungen bei der Emission von Bundeswertpapieren (WD 4 - 3000 - 129/20).
Deutscher Bundestag, wissenschaftliche Dienste (2021): Abwicklung des Zahlungsverkehrs des Bundes über die Deutsche Bundesbank und Wirkungen auf Zentralbankguthaben und Buchgeldmenge (WD 4–3000–07/21).
Deutscher Bundestag, wissenschaftliche Dienste (2022): Zulässigkeit der Überziehung des Bundeskontos bei der Deutschen Bundesbank (WD 4 - 3000 – 056/22).
Deutscher Bundestag, wissenschaftliche Dienste (2023): Modern Monetary Theory - eine Übersicht (WD 4 - 3000 - 113/22).
Ehnts, Dirk (2020): Geld und Kredit: Eine €-päische Perspektive, 4. akt. und erw. Auflage, Metropolis
Ehnts, Dirk (2023): Makroökonomik: Wirtschaftstheorie für das 21. Jahrhundert, Springer
Ehnts, Dirk und Jonas Plattner (2022): Die Eurozone und die Weltwirtschaft – Geld und Ressourcen. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 2/2022, S. 51–70.
EZB (2020): Stellungnahme L/CL/20/315.
McLeay, Michael, Amar Radia, and Thomas Ryland (2014): Money creation in the modern economy. Bank of England Quarterly Bulletin: Q1.
Deutschen Bu
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