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Die Grundidee der Jobgarantie


Die Idee der staatlichen Jobgarantie (JG) gewinnt zunehmend an Popularität. Das liegt auch daran, dass die JG eine ganze Reihe an ökonomischen und sozialgesellschaftlichen Problemen adressiert. Eine kurze Einführung in die Grundidee der JG von Gastautor Maurice Höfgen.


Die JG basiert auf der Auffassung, dass es in der Verantwortung des Staates liegt, zu jederzeit für ausreichend sinnstiftende, gemeinwohlförderliche und sozialverträglich bezahlte Beschäftigungsmöglichkeiten zu sorgen, wenn der Privatsektor nicht genügend passende Stellen für diejenigen, die Arbeit suchen, anbietet. Da der Privatsektor sowohl finanziellen Einschränkungen als auch einem Profitmotiv unterliegt, kann dieser nur dort Jobs schaffen, wo es profitabel ist. Dadurch kann allerdings weder dem individuellen Wunsch nach einer passenden Arbeitsstelle noch dem kollektiven Bedarf an öffentlicher Daseinsvorsorge, sprich: Tätigkeiten, die unserem gemeinschaftlichen Zusammenleben nutzen, zu jeder Zeit entsprochen werden. Angesichts dessen, dass der Staat nicht den Einschränkungen des Privatsektors unterliegt, kann nur dieser die Verantwortung in diesem Bereich schultern. Ein Blick in den Rückspiegel zeigt, dass diese Verantwortung die letzten 40 Jahre, in denen tatsächliche Vollbeschäftigung zur Ausnahmeerscheinung geworden ist, nicht erfüllt wurde. Bei Bestandsaufnahmen in der Eurozone wird offenbar, dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit existiert, obwohl es einen sehr großen Bedarf an auszuführender Arbeit gibt ―etwa um das Zusammenleben unter Corona-Hygieneauflagen zu organisieren, die Wirtschaft ökologisch umzubauen, die Infrastruktur vor dem Verfall zu bewahren oder ein gänzlich neues Niveau in der öffentlichen Daseinsvorsorge zu verwirklichen.


Wie sieht das JG-Programm aus?


Der Staat macht ein bedingungsloses Jobangebot an jeden, der zu einem sozialverträglichen Lohn arbeiten möchte. Die JG ist ein universelles Angebot an jeden und erweitert damit die individuellen Optionen zur Berufswahl. Wer nicht arbeiten kann und/oder will, wird wie bisher anderweitig abgesichert. Bestehende Sozialleistungen, wie etwa das Arbeitslosengeld, bleiben von der JG unberührt. Die JG ist also als Pufferbestand an bezahlten Jobs zu verstehen, der expandiert (kontrahiert) wenn die privatwirtschaftliche Aktivität zurückgeht (steigt). Das bedeutet, dass die Beschäftigungsanzahl innerhalb der JG während eines Booms abnimmt und, andersherum, während einer Rezession zunimmt. Während die absolute Höhe des Lohns kontextabhängig sind, sollte der Lohn immer und ausnahmslos ein sozialverträglicher, armutsfester Lohn, der gesellschaftliche Teilhabe sicherstellt, sein. Die Arbeitsbedingungen innerhalb des JG Programms bilden dann die neue Untergrenze an akzeptablen Arbeitsbedingungen und den effektiven nationalen Mindestlohn. Der Privatsektor wird zur Rekrutierung von Arbeitskräften also ein besseres Angebot als das in der Jobgarantie machen müssen. Das bedeutet, dass die Jobgarantie eine effektive Untergrenze an akzeptablen Arbeitsbedingungen in den Arbeits­markt einzieht und somit auch ein Mittel ist, um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen – vom Lohn über nicht­geldliche Leistungen, demokratische Praktiken bis hin zur Arbeitsatmosphäre - im Privatsektor zu erwirken.


Die JG ist ein Bottom-Up-Ansatz und kombiniert den individuellen Wunsch nach kontinuierlicher Beschäftigung mit den Bedürfnissen von Städten und Gemeinden. Daher erfolgt der Großteil der Verwaltung auf Stadt- bzw. Gemeindeebene und zielt auf die Schaffung von lokalen Jobs, die dem Gemeinwohl dienen, ab.


Welche Art von Jobs würde das beinhalten?


Da die JG als Pufferbestand flexibel auf die Aktivität im privatwirtschaftlichen Sektor reagiert und sich entsprechend ausdehnt oder kontrahiert, sind großangelegte Infrastrukturprojekte oder unverzichtbare öffentliche Dienstleistungen, die ständig angeboten werden sollten, keine passenden JG Projekte. Vielmehr sind jene Jobs, die auf die Verbesserung des Zustands und das Gemeinwohl der Stadt bzw. Gemeinde ausgerichtet sind, sowie jene, die vom Privatsektor nur unzureichend abgedeckt werden, erstrebenswerte JG Beschäftigungen. Konkret könnte die JG Projekte aus den Bereichen Bildung, Ausbildung, Pflege, Kunst, Umweltmanagement, Stadtpflege, lokale Lebensmittelproduktion oder Sicherheit beinhalten. Zusätzlich könnte die JG Praktika für Jugendliche sowie spezielle Programme für Veteranen, gefährdete Jugendliche und ehemalige Häftlinge beinhalten. Oftmals agieren bereits Non-Profit-Organisationen und sozial motivierte Freiwilligenorganisationen in den Bereichen, in denen dringender Bedarf besteht. Jedoch fehlt es diesen Organisationen meistens an finanziellen Mitteln sowie an Personal, sodass diese Organisationen eine elementare Rolle innerhalb eines JG Programms spielen können. Um dem Bottom-Up-Charakter vollständig zu gerecht zu werden, kann die JG außerdem eigens von Teilnehmern vorgeschlagene Projekte und Business Pläne integrieren – vorausgesetzt, dass diese dem Gemeinwohl dienen. Die JG ist weder darauf ausgelegt, mit dem Privatsektor in Konkurrenz zu treten noch reguläre öffentliche Beschäftigung zu ersetzen. Sollte es jedoch offensichtlich werden, dass Arbeiten, die unter dem Dach der JG ausgeführt werden, von immenser Bedeutung für das Gemeinwohl sind und daher dauerhaft personell besetzt und ausgeführt werden sollten, dann sollten daraus reguläre öffentliche Beschäftigungsverhältnisse werden. Das beinhaltete dann auch eine höhere Vergütung.


Wie sollte die JG verwaltet werden?


Während auch hier Details vom jeweiligen Landeskontext abhängen, ist die Grundidee, dass aktuell bestehende und institutionell etablierte Arbeitslosenzentren zu Beschäftigungszentren umgestaltet werden, in denen das JG Arbeitskräfteangebot mit den Bedürfnissen der Stadt bzw. Gemeinde zusammengebracht wird. Dabei sind die zentralen Aufgaben des Beschäftigungszentrums 1) die Abfrage der lokalen Bedürfnisse bei Städten, Gemeinden, Kommunen und Non-Profit-Organisationen und 2) die Erstellung eines Profils des JG Teilnehmers anhand von Qualifikation, Erfahrung, Interessen und Motivation zwecks passender Jobzuteilung. Etablierte Arbeitslosenzentren verrichten schon heute viele herausfordernde und ähnlich geartete Aufgaben – von Unterstützung bei der Jobsuche bis zur Organisation von Weiterbildungsworkshops - sodass die Umgestaltung in Beschäftigungszentren innerhalb eines JG Programms naheliegt. Die Finanzmittel werden von der jeweiligen Bundesregierung, am ehesten koordiniert über das Arbeitsministerium, bereitgestellt.


Die Beschäftigungszentren arbeiten in Abstimmung mit dem Arbeitsministerium und bewerben sich in regelmäßigen Zyklen mit Projektvorschlägen um die benötigten Finanzmittel. Das Arbeitsministerium bewertet die Projekte anhand von drei Kriterien: 1) Förderung des Gemeinwohls 2) Schaffung von ausreichend Arbeitsplätzen und 3) keine direkte Konkurrenz mit privatwirtschaftlichen Unternehmen. Sobald die Projekte akzeptiert und die Finanzmittel bereitgestellt sind, ist das örtliche Beschäftigungszentrum für die Verteilung der JG Teilnehmer auf die Projekte verantwortlich. Natürlich muss es so sein, dass die Beschäftigungszentren immer mehr Projekte und Jobangebote als zu antizipierende Jobnachfrage zur Auswahl haben, um 1) sicherzustellen, dass der Job dem Profil der JG Teilnehmers entspricht und 2) Jobs on-Demand verfügbar zu haben, sodass arbeitslose Wartezeiten vermieden werden. Zudem ist es möglich, um dem Bottom-Up-Charakter noch mehr zu entsprechen, Elemente der partizipativen Demokratie zu integrieren und z.B. die Bevölkerung in der Ermittlung und Priorisierung der Bedürfnisse von Stadt und Gemeinde einzubinden.


Welche Probleme löst die JG?


Aus ökonomischer Sicht ist unfreiwillige Arbeitslosigkeit ein Indikator dafür, dass die Volkswirtschaft unterhalb ihres eigentlichen Potenzials operiert, also nicht alle verfügbaren Ressourcen auslastet. Dadurch bleiben potenzielle Wohlstandsgewinne (materiell und nicht-materiell) letztlich unrealisiert, was überproportional zulasten derjenigen am unteren Ende der Einkommensverteilung geht. Arbeit lässt sich eben nicht sparen. Wer ein Jahr gar nicht arbeitet, der kann nicht im nächsten Jahr doppelt so viel arbeiten und damit die »aufgesparte« Arbeit wieder investieren. Darüber hinaus geht Arbeitslosigkeit, je länger sie andauert, zumeist mit einem Verlust an Arbeitsqualifikationen einher und senkt die volkswirtschaftliche Produktivität. Da die JG Teilnehmer aktiv beschäftigt bleiben und Weiterbildung, vor allem On-The-Job-Training, erfahren, wird die Rückkehr in den Privatsektor erleichtert.


Aus sozialgesellschaftlicher Sicht ist unfreiwillige Arbeitslosigkeit mit einer Reihe an Problemen verbunden, die weit über den bloßen Einkommensverlust für die betroffene Person hinausgehen. Unter Soziologen etwa besteht Einigkeit, dass die sozialen Kosten von Arbeitslosigkeit größer als die finanziellen sind. Die Option der kontinuierlichen Beschäftigung adressiert die mit unfreiwilliger Arbeitslosigkeit verbundenen sozial-gesellschaftlichen Probleme wie Armut, soziale Isolation, Kriminalität, regionale Entwicklungsdisparitäten, Gesundheitsprobleme, Familienprobleme, Schulabbrüche, Verlust von Humankapital sowie allgemeine soziale, politische und wirtschaftliche Instabilität. Darüber hinaus ermöglicht die JG die Realisierung der Vorteile von kontinuierlicher Beschäftigung: Armutsbekämpfung, Stärkung des Gemeinwesens, soziale Vernetzung, Weiterbildung, persönliche Weiterentwicklung sowie den Aufbau von neuen Fertigkeiten. Insbesondere hilft die JG denjenigen, die im aktuellen System am meisten benachteiligt sind, z.B. Menschen mit Behinderungen, deren Beschäftigung mit zusätzlichem Aufwand und Kosten einhergeht und die daher nur schwerlich adäquate Jobs im Privatsektor finden. Die JG könnte speziell auf die jeweiligen Bedürfnisse ausgerichtete Jobs schaffen und diesen Bevölkerungsgruppen damit Zugang zu einer würde- und bedeutungsvollen Beschäftigung gewähren – mit all den sozial-psychologischen Vorteilen, wie z.B. sozialer Integration. Letztlich ist die JG die Umsetzung des bereits in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankerten Rechts, welches im neoliberalen Paradigma durch die permanente Existenz von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit vernachlässigt wurde:


„Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit. 2. Jeder Mensch, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.“


(Artikel 23, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte).


In der aktuellen Situation, in der unfreiwillige Arbeitslosigkeit permanent existiert, sind die Kräfteverteilungen auf dem Arbeitsmarkt asymmetrisch zugunsten der Arbeitgeberseite verteilt. Nicht zuletzt hat der Neoliberalismus auch die Gewerk­schaftszugehörigkeit „erfolgreich“ unter Beschuss genommen und so den Organisationsgrad der Arbeitnehmer verrin­gert, was deren kollektive Verhandlungsmacht weiter eingeschränkt hat. Diejenigen mit einer vergleichsweise geringen Arbeits­qualifikation sind die, die im Aufschwung als letzte Anstellung finden und im Abschwung als erstes entlassen werden. Gerade diese Personengruppe, die aufgrund der asymmetrischen Verhandlungsmacht in Situationen gerät, in denen sie eigentlich nicht zu akzeptierende Arbeitsbedingungen akzeptiert bzw. akzeptieren „muss“, profitiert besonders von der Bereitstellung einer staatlichen Arbeitsplatzalternative. Die Jobgarantie gibt diesen Personengruppen die Chance, unakzeptablen Arbeitsbedingungen zu entsagen und adressiert damit die asymmetrischen Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt.


Angesichts der Vorteile verwunderte es nicht, dass schon Dr. Martin Luther King Jr. seinerzeit eine staatliche Jobgarantie forderte und dies als Maßnahme erachtete, die, wie keine andere Maßnahme, sozialen und ökonomischen Fortschritt für die systematisch benachteiligte afroamerikanische Gesellschaft brächte. Nicht umsonst war sein bekannter „March on Washington“ offiziell als „March on Washington for Jobs and Freedom“ benannt.


Zur Finanzierbarkeit


Wie die analytische Linse der MMT (Modern Monetary Theory) aufdeckt, ist die Frage nach der Finanzierbarkeit oder den finanziellen Kosten einer wirtschaftspolitischen Maßnahme im Kontext von Staaten mit einem ausreichenden Grad an monetärer Souveränität, nicht zielführend. Ein Staat, der seine eigene Währung ausgibt und eine flexible Wechselkursstrategie verfolgt, hat keine finanziellen Grenzen und kann sich jedes Projekt „leisten“ – unabhängig davon wie hoch die monetären „Kosten“ sind. In einem solchen Kontext umfassen die tatsächlichen Kosten die realen Güter und Dienstleistungen, die innerhalb der JG Verwaltung benötigt und durch das zusätzliche JG Einkommen konsumiert werden.


Bei Staaten ohne einen solchen Grad an monetärer Souveränität, wie z.B. den einzelnen Ländern der Eurozone, wird die Finanzierung zur Frage von politischer Priorität und hat bei der aktuellen institutionellen Infrastruktur der Eurozone und den politischen Regeln der Mitgliedsländer, etwa der deutschen Schuldenbremse, unter Umständen finanzielle Opportunitätskosten. Diese fallen angesichts der Tatsache, dass Einkommen sowie Nachfrage und damit auch Beschäftigung sowie Steuerrückflüsse steigen, geringer aus, als es zu Anfang scheint.


Grundsätzlich gilt jedoch: Der originäre Zweck des Geldsystems als das Ermöglichen einer adäquaten Bewirtschaftung der verfügbaren realen Ressourcen im Sinne des Gemeinwohls. Wenn politischer Wille da ist, aber die politischen Regeln oder die institutionelle Ausgestaltung des Geldsystems dem Staat die Hände binden dann sind die Regeln und die Ausgestaltung des Geldsystems zu hinterfragen - und zu verändern, um die Potenz des Geldsystems im Sinne des Gemeinwohls zu nutzen.


Angesichts der Tatsache, dass die Eurozone als Ganzes als monetär souverän angesehen werden kann, schlagen Ehnts, Tcherneva und Cruz-Hidalgo im Kontext der Eurozone etwa die Einführung eines europäischen Finanzministeriums zwecks Finanzierung einer JG vor.

Die makroökonomischen und sozialgesellschaftlichen Effekte der JG wurden hier, hier und hier ausführlicher beschrieben. Eine noch umfassendere Behandlung finden Sie zudem in meinem Buch „Mythos Geldknappheit“.


Maurice Höfgen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Fabio De Masi (MdB).

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