Für einen Juristen ist der Gedanke selbstverständlich, dass die Freiheit der Vertragsgestaltung entscheidend von der Verhandlungsmacht der jeweiligen Parteien abhängt. Oder hat einer von Euch schon mal erfolgreich mit google oder facebook über die Speicherung seiner Aktivitäten im Internet verhandelt?
Den offenkundigen Interessengegensatz zwischen Unternehmen und Verbrauchern löst der staatliche Gesetzgeber dadurch, dass er die von den Unternehmen vorformulierten Vertragsbedingungen einer Inhaltskontrolle u.a. anhand bestimmter Standardkriterien unterwirft und notfalls für unwirksam erklärt (1).
Den entsprechenden Gedanken findet man auch in der Wirtschaftswissenschaft, wenn es darum geht zu verhindern, dass Unternehmen ihre Marktmacht dazu benutzen, eine Extrarendite in Form höherer Preise („economic rent“) zu erzielen.
Dahinter steckt die Vorstellung, dass es einen reinen Produktionspreis gibt, den allerdings nicht der Gesetzgeber (zentral) festlegen kann (Ausnahmen sind etwa die staatlich festgelegte Obergrenze des Brotpreises in Frankreich), sondern den jedes Unternehmen dezentral für sich selbst festlegt.
Dafür, dass der tatsächlich verlangte Preis keinen nicht auf die Produktion zurückgehenden Preisanteil enthält, sorgt nach der Theorie des Marktes der Wettbewerb der Unternehmen. Solange es Wettbewerb gibt, also die Unternehmen sich nicht hinsichtlich Preisen und Mengen absprechen und keine Monopole entstehen, spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Unternehmen in der Preisgestaltung gegenseitig kontrollieren. Das Unternehmen, das versuchen würde, die Preise ungerechtfertigt zu erhöhen, liefe Gefahr, Marktanteile an die preiswerteren Konkurrenten zu verlieren.
Nach dieser Konzeption ist es also Aufgabe des Gesetzgebers, die Preiseffektivität des Marktes durch die Verhinderung von Absprachen und Monopolen zu gewährleisten.
Bekanntlich möchte die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler die Rolle des Staates – neben der Garantie des Eigentums – auf diese Gewährleistung des Wettbewerbs beschränken. Den Rest regelt nach ihrer Überzeugung die sich selbst überlassene „Wirtschaft“ am besten selbst. Bildet demnach das Konzept der staatlichen Gewährleistung des Wettbewerbs auf den Märkten wenigstens so etwas wie den Minimalkonsens der Wirtschaftswissenschaften?
Keineswegs (2).
Der Markt, so die unvermutete Feststellung der Wirtschaftswissenschaftler von der Chicago University (Chicago-Boys), ist nicht per se effizient. Die Vorstellung der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie, dass das freie Aushandeln von Verträgen durch rational handelnde Akteure zu optimal effizienten Ergebnissen führe, sei unhaltbar, weil es in der Praxis viel zu mühsam sei, ständig neue Verträge auszuhandeln und notwendiges Wissen jeweils von Fall zu Fall zu besorgen.
Vielmehr sei es im Hinblick auf die Senkung sog. „Transaktions- und Informationskosten“ effizienter, in Unternehmen dauerhafte Hierarchien zu etablieren, in denen Verhandlungen und der Zugriff auf Wissen durch Weisungsrechte ersetzt werden.
Theoretisch ergebe sich so zwar ein Gegensatz zwischen den Effizienzgewinnen auf der Ebene der Unternehmen und der Effizienz des Marktes bei der durch Wettbewerb gesteuerten optimalen Verteilung (Allokation)von materiellen und geistigen Ressourcen, weil bedeutende Teile des Marktes von den Unternehmen quasi „aufgesogen“ und monopolisiert würden. Wo allerdings die Grenze liege, an der die Effizienz der Unternehmen in die Ineffizienz der Märkte durch Ausschaltung des Wettbewerbs umschlage, lasse sich nicht feststellen und somit auch nicht gesetzlich regeln.
Der Versuch des Staates, die Unternehmen durch Monopol- und Wettbewerbsgesetzgebung an Effizienzgewinnen zu hindern, sei deshalb im Zweifel nicht nur wirtschaftlich schädlich, sondern geradezu lächerlich.
Wenn es darum gehe zu entscheiden, was wirtschaftlich richtig und vernünftig ist, sei vielmehr der (in der Wirtschaftstheorie vorausgesetzten) Rationalität der Unternehmen grundsätzlich der Vorzug vor dem von keinem legitimen wirtschaftlichen Einzelinteresse geleiteten Handeln des Gesetzgebers zu geben.
Vor einem Missbrauch der Marktmacht von Monopolunternehmen sei der Verbraucher ohnehin dadurch geschützt, dass die Freiheit des Marktes durch das Monopol keineswegs aufgehoben sei. Zur Rationalität des Monopolunternehmens gehöre es, sich so zu verhalten, als habe es kein Monopol, anderenfalls ihm in einem freien Markt sofort wieder Konkurrenz erwachse.
Die Tatsache, dass bei einmal etablierten Monopolen der Marktzugang für Newcomer in aller Regel blockiert sein wird, ändert nichts an der grundsätzlichen Richtigkeit des Arguments.
Der Kapitalismus als Wirtschaftssystem – so die des Schlussfolgerung der Chicago Boys – ist theoretisch so perfekt, dass er praktisch nicht einmal des Wettbewerbs bedarf (3).
PUFENDORFs FRAGE: Wenn Bürokratien effizienter sind als der Markt, warum gilt das – übertragen auf staatliche Aufgaben – nicht auch für den Staat?
Misst da jemand mit zweierlei Maß?
Anmerkungen:
Es handelt sich um das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in Deutschland geregelt in § 307 ff. BGB
Die folgende Darstellung ist eine kurze Zusammenfassung des Aufsatzes von William Davies: „Economics and the ‚nonsense‘ of law: the case of the Chicago antitrust revolution“, erschienen in: Economy and Society, Volume 39, Number 1 February 2010
Wer den Effekt derartiger „Argumente“ auf die amerikanische Gesellschaft nachvollziehen will, dem seien der Film und das Buch von Robert Reich, ehemaliger Arbeitsminister unter Bill Clinton, „Saving Capitalism“, empfohlen
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