Der US-amerikanische Präsident des New Yorker Federal Reserve Bank, Beardsley Ruml, veröffentlichte im Januar 1946 einen Artikel in der Zeitschrift Foreign Affairs mit dem Titel "Taxes For Revenue Are Obsolete" (PDF). In einem Artikel im World Economic Review weist mein Kollege Randall Wray auf dieses alten Artikel hin und betont, dass an dieser Stelle eigentlich eine Revolution in der Ökonomie hätte folgen müssen (PDF). Wenn der Staat also erst seine Staatsausgaben tätigt und dann über Steuern das Geld wieder einsammelt, dann muss doch die ganze Geldtheorie völlig neu gedacht werden?
Muss sie, sagt zumindest Ruml (meine Übersetzung; Original nebenstehend):
Die Notwendigkeit einer Regierung über die Eintreibung von Steuern ihre Unabhängigkeit und ihre Solvenz sicherzustellen ist für kommunale und regionale Regierungen richtig, nicht jedoch für die nationale Regierung. Zwei Veränderungen mit großen Konsequenzen haben sich im letzten Vierteljahrhundert ereignet, welche die Position des Nationalstaats bezüglich der Anforderungen an die Finanzierung substanziell verschoben haben. Die erste Veränderung sind die neuen Erfahrungen, die durch das Management der Zentralbanken gesammelt wurden. Die zweite ist die Beseitigung der Konvertibilität des Geldes in Gold.
In letzter Konsequenz bedeutet dies also: Geld kann auch funktionieren, wenn es nicht durch Gold gedeckt ist. Dies wurde in den 1930ern deutlich, als Länder, die aus dem Gold-Standard austraten, schneller wuchsen als vorher. Auch nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems fixer Wechselkurse im Jahr 1971, als die Währungen sich von der Anbindung an den US-Dollar lösten nachdem Nixon die Konvertibilität in Gold aufhob, gab es keine Probleme mit dem Management des Geldes.
Auf S. 36 schildert Ruml die Probleme einer solchen Währung: ist die Nachfrage zu hoch (weil in der Wirtschaft sehr viel Geld vorhanden ist und davon auch viel ausgegeben wird), so kommt es bei gegebener Gütermenge zu Inflation. Sind die Steuern zu hoch, dann werden die Konsumenten nicht die nötige Kaufkraft haben, um den Produzenten alles an Produktion abzukaufen. Dies wird weit verbreitete Arbeitslosigkeit auslösen.
Diese Sicht war einmal Konsens, und daraus folgte, dass dem Staat in einer modernen Geldwirtschaft eine wichtige Rolle spielte. Über seine Finanzpolitik (Steuern und Staatsausgaben) ist er für die Höhe der Arbeitslosigkeit verantwortlich. Dies gilt auch noch heute, auch wenn in der Eurozone die Zentralbank die Staaten nicht mehr finanziert. Es liegt in der Verantwortung der Politik, dass sie das politische Mandat auch erfüllen können. Nachdem Spanien und Portugal nach dem jeweiligen Bruch des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht mit Strafen belegt worden sind (vgl. NZZ von gestern), gibt es eigentlich jetzt keinen Grund mehr gegen eine Erhöhung der Staatsausgaben in der Eurozone, oder?
Leider doch, denn die nationalen Schuldenbremsen sind vielerorts in der Verfassung festgeschrieben. Es ist verhext: in der Krise hat die Politik Regeln beschlossen, die sich jetzt als hinderlich erweisen. Nachdem man also erst das falsche tat, kommt nun auch noch heraus, dass man sich damit Optionen auf gute Reformen (Ignorieren des Stabilitäts- und Wachstumspaktes bis auf Weiteres) genommen hat. Wenn die Eurozone scheitert, dann scheitert sie nicht an der Architektur des Euros, sondern an den Fehlern, die in der Krise gemacht wurden.
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