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Sind die Notenbanken zu mächtig geworden?


Der frühere stellvertretende Gouverneur der Bank of England, Paul Tucker, hat der Schweizer Zeitschrift Bilanz ein Interview gegeben. Er spricht dort über die Macht der Zentralbanken. Das ganze Interview kann hier eingesehen werden (PDF). Es folgt ein Auszug aus dem Interview.


Frager (F): Ob die Notenbanken die Zinsen anheben, ist auch der entscheidende Treiber für die Börse.


Paul Tucker (PT) So ist es, und das ist verrückt. Die Börse sollte von der Dynamik der Unternehmen abhängen, von Investitionen und Ideen – und nicht davon, ob ein nicht gewähltes Komitee entscheidet, die Zinsen um 25 Basispunkte zu erhöhen. Doch gerade das hinter uns liegende Jahrzehnt an Tiefzinsen hat die Gefahren für die Weltwirtschaft massiv erhöht. Die Zentralbanken haben dafür gesorgt, dass die Erholung zu einem grossen Teil über höhere Schulden erkauft wurde. Doch diese Schulden führen automatisch zu einer neuen Krise. Geldpolitik läuft so, dass man die Zinsen senkt und damit den Menschen sagt: Spart weniger und geht shoppen! Das war am Anfang nötig, um die grosse Depression zu verhindern. Aber es ist nicht die Lösung der Probleme.


F: Jetzt ist der Schuldenberg in der Eurozone, aber auch in den USA und China so gross, dass eine starke Zinserhöhung dramatische Folgen hätte: Die Krise wäre sofort zurück.


PT: Das ist das grosse Problem. Gegen den Schuldenberg können jedoch auch die Notenbanker nichts tun. Die Politiker müssten die Anreize für das Ausgabeverhalten, Kreditvergabe und Investitionen ändern.


F: Auch sonst haben die Notenbanker ihre Macht stark ausgebaut.


PT: Sie investieren in grossem Stil in Aktien und Anleihen und sind damit ein dominanter Marktteilnehmer – die EZB etwa hält mehr als 20 Prozent der europäischen Staatsanleihen. Hinter all diesen Käufen steht immer ein Auswahlprozess, etwa wenn die Nationalbank Aktien von Apple statt von Amazon kauft. Damit macht sie sich zum Richter über Gewinner und Verlierer am Finanzmarkt – ohne genügende demokratische Legitimation. In der Finanzkrise wurden gewisse Institute – Bear Stearns oder UBS – gerettet, andere wie Lehman Brothers nicht – das ist Willkür. Die Notenbanken steuern über den Hypothekarzins auch den Immobilien- markt. Die Negativzinsen, wie sie auch hier in der Schweiz existieren, sind de facto eine Art Steuer auf Geldhaltung. Doch Steuern werden in einer Demokratie eigentlich vom Parlament, also von gewählten Volksvertretern, erhoben.


F: Wie sollte man die Macht beschränken?


PT: Die Notenbanken müssen sich wieder auf Geldpolitik konzentrieren. Die Politik muss die Macht beschneiden und viel klarere Zielsetzungen geben. Und die Notenbanken müssen transparenter werden und eine offene Diskussionskultur pflegen.


Das Interview ist deswegen interessant, weil hier ein Zentralbanker und Professor das Thema Macht und Zentralbanken offen anspricht. Natürlich ist es wichtig, die Geldschöpfung zu verstehen, und natürlich ist es auch wichtig, dass dies politisch nicht neutral ist. Über die einzelnen Punkte lässt sich trefflich diskutieren. So ist es wohl etwas vermessen, die Behauptung aufzustellen, dass eine starke Zinserhöhung dramatische Folgen hätte und die Krise sofort zurück wäre. In den USA steigen die Zinsen seit Jahren und werden weiter steigen, ohne dass es dramatische Folgen gegeben hätte.


Bei der Frage, was die Zentralbanken im Portfolio halten, würde ich Paul Tucker auch nur zur Hälfte zustimmen. Staatsanleihen gehören zum Geschäft und ihr Ankauf ist alltäglich. Der Kauf von Anleihen aus dem privaten Sektor hingegen ist außergewöhnlich und es ist tatsächlich so, dass hier Gewinner und Verlierer entstehen auf der Grundlage von Entscheidungen, die demokratisch nicht legitimierte Technokraten getroffen haben.

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