Die NachDenkSeiten haben hier (Nr. 8) - offenbar versehentlich - auf einen Cicero-Artikel zum Thema Handelsbilanzdefizite, der wiederrum auf diese Seiteverlinkt, verwiesen. Der Artikel enthält einige eklatante technische Fehlaussagen und erlaubt damit unfreiwillig einen Blick in die Klamottenkiste selbsternannter (deutscher) Wirtschaftsexperten.
1.
Wir lesen da einerseits, die Sektorenbilanzdefizite des Staatshaushaltes, der Privathaushalte und der Unternehmen, hier „Finanzierungssalden“ genannt - die Beträge, um die bezogen auf das Wirtschaftsjahr die Einnahmen über den Ausgaben des jeweiligen Sektors liegen - finanzierten als „deutsche Ersparnisse“ die deutschen Exportüberschüsse in Höhe desselben Gesamtbetrages.
Wörtlich:
„Schauen wir uns die Zahlen für Deutschland für das Jahr 2015 genauer an (Quelle: Statistisches Bundesamt):
· Finanzierungssaldo private Haushalte: 4,8 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das bedeutet alle Haushalte zusammen haben netto im Volumen von 4,8 Prozent des BIP gespart.
· Finanzierungssaldo Unternehmen: 3,2 Prozent vom BIP. Also ebenfalls eine Netto-Ersparnis.
· Finanzierungssaldo Staat: 0,6 Prozent vom BIP – die berühmte ‚schwarze Null‘.
Wäre Deutschland eine geschlossene Volkswirtschaft, befänden wir uns in einer schweren Krise. Es würde massiv Nachfrage, immerhin im Volumen von 8,6 Prozent des BIP, fehlen, weil wir alle sparen. Doch von Krise ist keine Spur! Das verdanken wir dem Ausland, wohin wir unsere überschüssigen Ersparnisse von 8,6 Prozent vom BIP exportiert haben.
Dies bedeutet aber zugleich, dass das Ausland im Volumen von 8,6 Prozent des deutschen BIP mehr Waren aus Deutschland gekauft als nach Deutschland exportiert hat. Der Titel des Exportweltmeisters gilt folglich für Waren und für Ersparnisse gleichermaßen.“
Gefolgert wird dies aus der definitionsgemäßen Aussage*, dass sich die volkswirtschaftlichen Sektorensalden Privatsektor (S-I), Staatshaushalt (G-T) und Außenhandel (X-M) stets zu „0“ addieren, sodass gilt:
(I-S) + (T-G) + (X-M) = 0 | - (X-M)
=> (I-S) + T-G) = - (X-M) | x (-1)
=> (S-I) + (G-T) = X-M
=> S + (-I) + G-T = X-M.
Das ist exakt dasselbe falsche Verständnis wie im Falle der definitionsgemäßen Identität S=I bei Y = C + I und Y = C + S, wenn behauptet wird, die Ersparnisse der Konsumenten „finanzierten“ die Investitionen der Unternehmen.
Tatsächlich werden sowohl die inländischen Investitionen als auch die ausländischen Einkäufe deutscher Waren durch Bankguthaben, die sich die Betreffenden notfalls per Bankkredit verschaffen müssen, finanziert. Auch ausländische Banken aber brauchen – wie ihr wisst - keine Spareinlagen zur Kreditgewährung – auch keine deutschen.
Deshalb stimmt übrigens auch das gern gebrauchte Argument nicht, Deutschland brauche Exportüberschüsse, damit eine überalterte Gesellschaft Geld im Ausland für die Rente anlegen kann.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
2.
Andererseits sollen die sogenannten Target 2-Salden der Bundesbank „kostenlose Kredite“ an „Italiener und Griechen“ darstellen.
Hierzu muss man wissen, dass innerhalb des Euro-Zahlungssystems („Target 2“) die Zentralbankgeldkonten der in Deutschland ansässigen Geschäftsbanken bei der Bundesbank geführt werden und der transnationale Zahlungsverkehr innerhalb der Eurozone zwischen den nationalen Zentralbanken im Prinzip genauso abgewickelt wird, wie zwischen den nationalen Geschäftsbanken.
Wenn eine Geschäftsbank in Deutschland auf Anweisung eines Kunden Euro von dessen Konto an einen Kunden einer anderen Geschäftsbank in Deutschland übermitteln will, muss sie der anderen Geschäftsbank Eurozentralbankgeld in gleicher Höhe zur Verfügung stellen, wofür diese dann dem Konto ihres Kunden den gleichen Betrag als Giralgeld gutschreibt. Dafür, dass die Empfängerbank ihrem Kunden Giralgeld auf dessen Konto gutschreibt, erhält sie zum Ausgleich Zentralbankgeld – deshalb heißt das ganze „Zahlungsausgleich“. Der endgültige Zahlungsausgleich („clearing“) zwischen Geschäftsbanken lässt sich durch gegenseitige Kredit- und/oder Stundungsvereinbarungen beliebig zeitlich verschieben.
Bei transnationalen Zahlungen weist die Ausgangsbank im Auftrag ihres Kunden die eigene Zentralbank an, dem Konto der Zentralbank des Zielstaates bei der EZB Eurozentralbankgeld von ihrem Konto gutschreiben zu lassen. Die Zentralbank des Zielstaates schreibt es dann dem Zentralbankkonto der Empfängergeschäftsbank und diese wiederum dem Konto ihres Kunden als Giralgeldguthaben gut. Auch hier handelt es sich also nur um Zahlungsausgleich - aber eben über Landesgrenzen hinweg.
Am Ende jeden Tages werden die tagsüber in beide Richtungen getätigten Kontogutschriften saldiert und als eigenständige neue Forderung oder Verbindlichkeit der jeweiligen Zentralbank gegenüber der EZB auf diese übertragen (Novation). Der Überschuss der Gutschriften der ersten Zentralbank gegenüber der zweiten wird zu einer sog. Target 2-Forderung gegen die EZB; das Defizit der Gutschriften der zweiten Zentralbank bei der ersten wird zu einer sog. Target 2-Verbindlichkeit bei der EZB. Am Ende des Tages sind alle gegenseitigen Zahlungsverkehrsüberschüsse/-defizite der Zentralbanken untereinander beseitigt.
Im Laufe der Zeit sollten sich nun die Target 2-Forderungen und -Verbindlichkeiten der jeweiligen Zentralbanken bei der EZB eigentlich ausgleichen. Im Zuge der Eurokrise hat aber der transnationale Zahlungsverkehr aus der Eurozone nach Deutschland wegen der durch die Eurokrise verursachten Unsicherheiten dramatisch zugenommen, sodass sich die Target 2-Forderungen und Verbindlichkeiten der Deutschen Bundesbank kaum mehr ausgeglichen, sondern die Forderungen an die EZB enorm zugenommen haben.
Dennoch bleibt es das Geheimnis der Autoren, was diese Salden-Guthaben bei der EZB mit kostenlosen Krediten an wen auch immer zu tun haben. Schließlich bekommen weder die ausländischen Bankkunden ihre Giralgeldguthaben noch ihre Banken das für Auslandsüberweisungen notwendige Eurozentralbankgeld geschenkt. Letztere müssen es sich notfalls bei anderen Geschäftsbanken oder zunehmend bei der eigenen Zentralbank gegen entsprechende Sicherheiten besorgen. Richtig ist in diesem Zusammenhang nur, dass die entsprechenden Zinssätze der EZB auf einem historischen Tiefstand sind.
3.
Auf die in dem Artikel enthaltenen wirtschaftspolitischen Ratschläge der Autoren wollen wir lieber nicht eingehen.
Um uns das Gruseln zu lehren, reicht schon die Vorstellung, dass die Autoren mit ihren abenteuerlichen Ideen über Geld und Finanzierung nicht alleine stehen.
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*Es gelten die Ausgangsdefinitionen Y = C + I + G + (X-M) und Y = C + S + T, aus denen sich durch Gleichsetzung der rechten Seiten und mathematische Umformung die Ausgangsgleichung ergibt.
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