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MMT, Knapp und die "Staatsverschuldung"


Die Sorge um die angebliche Gefährlichkeit der sog. Staatsverschuldung treibt nicht nur in Europa seltsame Blüten. In den Vereinigten Staaten wird unter dem Stichwort „debt-free-money“ darüber diskutiert, ob es nicht möglich ist, die staatliche Geldemission ohne bilanzwirksame Verschuldung des Staates zu organisieren.


Der zugehörige Debattenbeitrag von Randall Wray, einem der maßgeblichen Vertreter der Modern Money Theory (MMT), ist Anlass, auf Basis  einiger grundlegender Zitate aus Georg Friedrich Knapps „Staatliche Theorie des Geldes“ den Zusammenhang zwischen Steuern, Schulden und Geld zu erläutern.


1. Naive Betrachtung


Zitat Knapp:

„Wenn wir unsere Mäntel, beim Eintritt ins Theater, zur Aufbewahrung abgeben, erhalten wir dafür ein Messingplättchen von bestimmter Gestalt, das ein Zeichen trägt, etwa eine Nummer. Es steht weiter nichts darauf, aber diese „Marke“ hat eine rechtliche Bedeutung: sie ist der Beweis dafür, dass ich den abgelegten Mantel wieder zu fordern habe.“


Betrachtet man den Zahlungsvorgang wie ein beschreibender Anthropologe zunächst außerhalb seines kulturellen Kontextes, dann ergibt sich eine identische Struktur zwischen der Abgabe des Mantels und dem Erhalt der Garderobenmarke einerseits und der Übergabe einer Sache und der gegenläufigen Übergabe eines Geldstücks im Rahmen eines Warenkaufs andererseits.

Ohne Kenntnis der beiden Vorgängen jeweils zu Grunde liegenden Rechtsgeschäfte ist eine äußerliche Unterscheidung kaum möglich.


Die Gemeinsamkeit beider Vorgänge besteht dann offenbar darin, dass beide „Marken“ zum Beweis der Übergabe eines Gegenstands dienen oder dienen können, auch wenn im Fall des Geldstücks keine Zuordnung zum übergebenen Gegenstand, sondern lediglich zu seinem auf dem Geldstück eingeprägten Nominalwert, oder Teilen davon, möglich ist.


Naiv betrachtet ist das Geldstück oder der Geldschein also ebenso eine Sachleistungsquittung wie die Garderobenmarke und ist ebenso wie diese frei übertragbar.


2. Kein Geld ohne Steuern


Zitat Knapp:


„Statt immer nur die Mängel des autogenischen Geldes (Geld, das nicht durch einen in ihm verkörperten stofflichen Wert definiert ist, Anm. des Autors) hervorzuheben, sollte man doch gelegentlich auch daran denken, was es noch immer leistet: es befreit uns von unseren Schulden; wer aber seine Schulden los wird, der braucht nicht lange darüber nachzudenken ob er auch einen Stoff empfangen habe oder nicht. Vor allem befreit es uns von den Schulden gegenüber dem Staat, denn der Staat als Emittent erkennt mit allem Nachdruck an, dass er als Empfänger sich das Zahlungsmittel gefallen lasse. Je mehr im Staate die Steuern bedeuten, desto mehr hat dieser Umstand zu sagen.“


Hätte unser in Gelddingen unbewanderter Anthropologe beobachten dürfen, wie der Staat erstmals die von ihm hergestellten Geldstücke oder Geldscheine gegen Güter und Naturalien eintauscht, würde er wohl notiert haben, dass es sich offenbar um ein feierliches Ritual handelt, bei dem der Staat kleine glänzende Münzen oder bunte Scheine zum Dank für den Erhalt von Gegenständen an die Geber verschenkt. Warum allerdings die Geber so bereitwillig ihre Gegenstände herzugeben bereit sind, wäre ihm ein Rätsel geblieben.


Was der Anthropologe nicht wusste: Der Staat hatte dafür gesorgt, dass bei den Gebern ein echter Bedarf für die von ihm übergegebenen Sachquittungen besteht, indem er die Geber mit Schulden belastet hatte, die nur mit den von ihm herausgegebenen Sachquittungen getilgt werden konnten.

Diese Schulden nennt man Steuern und mit ihnen wird aus den Sachquittungen Geld, mit dem  man zunächst Steuerschulden begleichen kann.


Weil auch diejenigen Steuern zahlen müssen, die nicht direkt an den Staat liefern, können mit dem so entstandenen und gezahlten Geld auch andere Geldschulden als Steuern, nämlich Geldschulden aus Transaktionen zwischen den Gebern, beglichen werden.


Geld und (Geld-)Steuerschulden sind also komplementäre Begriffe. Geld sind negative Steuerschulden und Steuerschulden negatives Geld.


3. Kein Geld ohne (Geld-)schulden


Zitat Knapp:


„Der Begriff „Schuld“ ist amphibolisch, das heißt, wenn zwischen zwei Personen ein Schuldverhältnis besteht, so bleibt es unbestimmt, wer von beiden Personen der Schuldner und welche der Gläubiger ist. Für die eine Person ist die Schuld positiv; dies ist der Schuldner. Für die andere Person ist die Schuld negativ; dies ist der Gläubiger. Negative Schulden sind Forderungen.“


Geldforderung und Geldverbindlichkeit bezeichnen dieselbe Sache – nämlich die Geldschuld (den Zahlungsanspruch) - jeweils aus entgegengesetzter Richtung betrachtet. Die Forderung des einen ist die Verbindlichkeit des anderen.


Nimmt man hinzu, dass es zu den Grundsätzen unserer Wirtschaftsordnung gehört, dass bilanzwirksame Leistungen stets eine bilanzwirksame Gegenleistung erfordern, um „die Bilanz“ im Gleichgewicht zu halten (im Wirtschaftsleben also weder Geld noch Güter verschenkt werden), so erhält man insgesamt die Begründung dafür, dass sich der Staat jedenfalls formal (und unter der Voraussetzung, dass man Staat und Zentralbank nicht konsolidiert) verschulden muss, wenn er „neues Geld“ braucht.


Im wohl einfachsten Fall kauft die Zentralbank dem Staat seine mit einem bestimmten Zinssatz verzinsten Staatsanleihen ab und schreibt dem Staat auf dem bei ihr geführten Konto den Kaufpreis in Zentralbankgeld, das erst im Moment der Gutschrift entsteht, gut.


Die aus der Staatsanleihe geschuldete termingerechte (Rück)zahlung nebst Zinsen ist nun in der (gedachten) Bilanz des Staates eine Verbindlichkeit (Schuld) und in der Bilanz der Zentralbank eine Forderung. Der Kaufpreis ist eine sofort fällige Verbindlichkeit der Zentralbank (Schuld) in ihrer und eine entsprechende Forderung des Staates aus dem Kontovertrag mit der Zentralbank in seiner Bilanz.


Wird die Staatsanleihe nebst Zinsen fällig, beginnt theoretisch der Zyklus mit einer entsprechend höheren Staatsanleihe von vorn.


Ob man ein derartiges, im Prinzip endlos rollierendes System Staatsverschuldung nennt, ist wohl Geschmackssache.


Etwas komplizierter wird die Sache, wenn sich wie in der Eurozone erst die Geschäftsbanken mit einem Kredit bei der Zentralbank verschulden müssen, damit die Zentralbank der Geschäftsbank die Kreditsumme auf ihrem Konto gut schreibt, von wo aus das Geld als Kaufpreis für dessen Staatsanleihe, die in das Eigendepot der Geschäftsbank wandert, auf das Konto des Staates geht.

Komplizierter insbesondere deshalb, weil im Prinzip die auf die Staatsanleihen zu zahlende Verzinsung durch Auktion der zugelassenen Geschäftsbanken ermittelt wird, die im Übrigen auch frei darüber entscheiden können sollen, ob sie überhaupt Staatanleihen erwerben. 

Da Staatsanleihen aber eine sichere Geldanlage bedeuten, die bei der Berechnung des notwendigen bilanziellen Eigenkapitalpuffers außer Betracht bleibt, also nicht durch Eigenkapital abgesichert sein müssen, werden Geschäftsbanken Staatsanleihen solange kaufen und solange vernünftige Zinsraten akzeptieren, wie die Zentralbank dem Kurs der Staatsanleihe auf dem sog. Sekundärmarkt nicht die Unterstützung entzieht.


Positiv formuliert bestimmt alleine die Politik der Europäischen Zentralbank die Beherrschbarkeit der rollierenden Versorgung der Euro-Mitgliedstaaten mit Krediten auf der Basis ihrer eigenen Kredite an die Geschäftsbanken.


Auch hier erscheint also der Begriff Staatsverschuldung durchaus diskussionswürdig.

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