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Ist die Jobgarantie (JG) notwendig?

Jeden Freitag veröffentlichen wir einen kurzen Beitrag von Randall Wray, der schrittweise eine umfassende Theorie aufbaut, wie Geld in souveränen Ländern "funktioniert". Die Beitragsserie entstammt der Einführung in die "Modern Monetary Theory" (MMT) von Randall Wray aus dem Jahre 2011 auf der Website „New Economic Perspectives“ und wurde von Michael Paetz und Robin Heber ins Deutsche übersetzt. Zudem wird Vorstandsmitglied Dirk Ehnts jeden Freitagabend von 19-20 Uhr auf Facebook Fragen zum Beitrag der Woche beantworten. Ihr könnt uns natürlich auch gerne Fragen über das Emailformular (unten auf dieser Seite) schicken.


In den letzten Monaten haben wir uns intensiv mit der MMT befasst. Es ist das richtige Paradigma für die Analyse aller „modernen“ Länder, die ihre eigene Währung verwenden. Einige haben sich gefragt, ob wir die MMT von der Jobgarantie (JG) trennen können: Kann man die MMT akzeptieren und gleichzeitig die JG ablehnen?


Um ehrlich zu sein, finde ich das eine ziemlich seltsame Frage. Wir haben eine moderne Theorie der Beulenpest. Bis die medizinische Wissenschaft eine Theorie der Krankheit entwickelte, die durch Mikroben verursacht werden kann, die zu klein sind, um mit dem bloßen Auge gesehen zu werden, wurden alle möglichen Erklärungen für die Ursache der Pest angeboten. Die beliebteste war "schlechte Luft". Die angebotenen Präventivmaßnahmen (Quarantäne der betroffenen Personen, Evakuierung der Städte, Verbrennung des Besitzes der Verstorbenen) und die Verbesserung der öffentlichen Hygiene waren tatsächlich ziemlich effektiv - in den reicheren Ländern war die Pest fast ausgerottet, noch bevor die "Keim"-Theorie der Krankheit überhaupt entwickelt wurde. (Natürlich gab es auch Fehlschläge - wie das Töten von Katzen, die geholfen hatten, die Ratten in Schach zu halten!)


Heute "wissen" wir, dass die Krankheit durch den Biss eines infizierten Flohs verursacht wird, und dass ein einmal gebissenes Opfer mit Antibiotika behandelt werden kann. Die Pest wird zwar immer noch gelegentlich übertragen (vor allem im amerikanischen Westen), aber sie führt nicht mehr zu einer Seuche, weil eine schnelle Behandlung eine Pandemie verhindert.


OK, sollten wir die Theorie der Beulenpest von der politischen Reaktion trennen? Ich denke, die meisten vernünftigen Menschen würden sagen, dass es keinen Grund gibt, eine Theorie der Krankheit zu entwickeln, wenn man nicht auf Prävention und Behandlung hinarbeitet. Ich vermute, dass die meisten jeden Forscher gegeißelt hätten, der nur daran interessiert war, die Ursachen der Pest aufzudecken, sich dann aber gegen eine politische Antwort aussprach mit dem Argument, dass einige Todesfälle auch einen nützlichen Zweck erfüllen – nämlich die Bevölkerung zu disziplinieren, die Schwachen auszusortieren und als warnendes Beispiel für die Unvorsichtigen zu dienen.


Und doch war dies die Antwort der Mainstream-Ökonomen auf die "Entdeckung" von J.M. Keynes im Jahr 1936, dass Arbeitslosigkeit durch unzureichende Nachfrage verursacht wird. Wir wissen - jenseits jeden Zweifels- was den Großteil der Arbeitslosigkeit verursacht. In der Tat sind wir uns über die Hauptursache der Arbeitslosigkeit sicherer als über die Hauptursache der Schwarzen Pest Mitte des 13. Jahrhunderts (darüber gibt es tatsächlich eine kleine Kontroverse - die zeitgenössischen Berichte über die Krankheit, die Europa heimsuchte, passen nicht zu dem, was wir über die Beulenpest wissen, aber das ist ein Exkurs). Und so haben wir einen Ansatz für die politische Reaktion auf die Arbeitslosigkeit entwickelt - die Phillips-Kurve und die natürliche Arbeitslosenquote -, der eigentlich besagt, dass es in Ordnung ist, die Krankheit der Arbeitslosigkeit zu ignorieren, von der weltweit etwa 200 Millionen Menschen betroffen sind, selbst auf dem Höhepunkt des Konjunkturzyklus.


Denken Sie mal darüber nach. Seit 1936 gibt es einen großen Teil von Ökonomen und Politikern, die behaupten, dass Massenarbeitslosigkeit eine gute Politik ist - um die Arbeitskräfte zu disziplinieren, die Schwachen auszusortieren und als abschreckendes Beispiel für die Unvorsichtigen zu dienen. All dies geschieht im Namen der Erhaltung der Preisstabilität.


Sicherlich waren einige dieser Befürworter der Arbeitslosigkeit der Meinung, dass die Regierung ohnehin nicht viel tun könne. Wie ein Haushalt ist auch die Regierung durch ihre Einnahmen beschränkt. Und selbst wenn sie die Arbeitslosigkeit senken wollte, könnte sie sich dies nicht "leisten".


An dieser Stelle kommen Abba Lerners funktionale Finanzpolitik und die MMT (abgeleitet davon) ins Spiel. Wir wissen, dass dieses Argument falsch ist. Jeder, der moderne souveräne Währungen versteht, weiß - ohne jeden Zweifel - dass eine souveräne Regierung sich Vollbeschäftigung "leisten" kann. Sie kann zwischen einer Reihe von Methoden wählen, um Vollbeschäftigung zu erreichen, aber sie kann sich jede einzelne davon leisten. Sie kann "die Pumpe anwerfen", sie kann die Beschäftigung durch private Arbeitgeber subventionieren, oder sie kann ein JG-Programm betreiben.


Ich möchte hier klarstellen, dass ich in dieser Einführung alle Nationen, die ihre eigene Währung herausgeben, in meine Definition von "modernem Geld" oder "souveräner Währung" einbezogen habe. Darin weiche ich von einigen anderen Darstellungen ab. Einige schließen Länder aus, die ihre Wechselkurse an eine andere Währung binden oder steuern. Ich tue das nicht. Ich sehe diese als Positionen auf einem Kontinuum - mit einem variablen Kurs an einem Ende und einem gebundenen Kurs am anderen Ende. Ein frei schwankender Wechselkurs bietet eindeutig mehr innenpolitischen Spielraum. Und das ist das Wechselkurssystem, das ich befürworte - auch wenn sich viele Regierungen nicht in einer politischen Situation befinden, in der sie einen freien Wechselkurs umsetzen können.


Allerdings - und das ist der wichtige Punkt - ist das Festlegen oder steuern eines Wechselkurses eine selbst auferlegte Einschränkung. Jedes Land, das seine eigene Währung emittiert, kann zu einem flexiblen Wechselkurs übergehen - technisch wissen wir, wie man es macht; politisch kann es schwierig sein. Aber es kann getan werden.


Und das ist es, was einen staatlichen Währungsemittenten von einem Haushalt oder einem Unternehmen unterscheidet. Ein Haushalt oder eine Firma kann nicht entscheiden, zu einem variablen Zinssatz zu wechseln. Er ist ein Währungsnutzer. Seine Regierung ist jedoch ein Währungsemittent - auch wenn sie den Wechselkurs gebunden hat. Sie kann sich für einen flexiblen Kurs entscheiden, der Nutzer nicht. Und so kann sich der Währungsemittent IMMER Vollbeschäftigung leisten, wenn er die selbst auferlegten Beschränkungen aufhebt.


Ich persönlich finde es absolut widersinnig, dass jemand, der MMT versteht, sich gegen eine JG ausspricht. Wenn man erst einmal verstanden hat, dass wir Millionen Menschen nicht zwingen müssen, unfreiwillige Arbeitslosigkeit zu erleiden, dann wird die ethisch vertretbare Position eingegrenzt. Arbeitslosigkeit ist in diesem Fall unnötig, und jeder, der den Einsatz von Arbeitslosigkeit als politisches Instrument befürwortet, muss ein starkes Argument zur Verteidigung der Aufrechterhaltung der Arbeitslosigkeit vorbringen.


Wir würden nichts Geringeres akzeptieren, wenn man gegen die Behandlung tödlicher Krankheiten wie der Beulenpest oder der Pocken argumentieren würde - und doch ist Arbeitslosigkeit heute ohne Frage ein unendlich größeres Problem als jede dieser Krankheiten. Dennoch plädieren die meisten Ökonomen - einschließlich der selbsternannten Progressiven - dafür, Millionen von Menschen in einem Zustand unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zu halten.


Bevor wir uns wieder der JG zuwenden, lassen Sie uns kurz überprüfen, was wir über moderne Geldsysteme wissen.


Erinnern Sie sich daran, dass wir zunächst mit der Logik einer souveränen Währung begannen: Die Regierung benennt eine Recheneinheit, erhebt eine Steuerschuld in dieser Recheneinheit und gibt ihren eigenen Schuldschein in derselben Einheit durch ihre eigenen Ausgaben aus. Die Regierung muss zuerst ausgeben, bevor die Steuerzahler das bekommen können, "was notwendig ist, um Steuern zu zahlen". Das ist die Logik von "Steuern treiben Geld" (taxes drive money).


Als nächstes verwenden wir MMT als Beschreibung, wie moderne Regierungen tatsächlich Steuern erheben und Ausgaben tätigen. Dies ist notwendigerweise komplizierter und muss länderspezifisch sein. Die meisten Nationen haben eine formale Trennung zwischen ihrem Finanzministerium und ihrer Zentralbank; und viele erlegen beiden Beschränkungen auf. Es ist üblich, der Zentralbank zu verbieten, dem Fiskus direkt Geld zu leihen, und zu verlangen, dass der Fiskus Schecks auf seine Einlagen bei der Zentralbank ausstellt. Diese selbst auferlegten Beschränkungen führen dann zu verschiedenen Betriebsabläufen, die darauf abzielen, dem Schatzamt zu ermöglichen, die benötigten Einlagen bei der Zentralbank zu erhalten und die Störungen der Reserven des Bankensystems zu minimieren.


Es besteht keine Notwendigkeit, die gesamte Analyse hier zu wiederholen - ich möchte lediglich zwischen Erklärungen unterscheiden, die nur die Logik erläutern, und solchen, die erklären, wie modernes Geld "wirklich funktioniert", d.h. Beschreibungen der Funktionsweise von realen, souveränen Währungen.


Schließlich wissen wir, dass die Regierung logischerweise keinen finanziellen Zwängen unterliegt und dass sie zuerst ausgibt, bevor sie Steuern erhebt oder Anleihen verkauft. Die Regierung kann sich jedoch selbst Beschränkungen für ihre Ausgaben auferlegen (z. B. Anforderungen an einen ausgeglichenen Haushalt oder Schuldengrenzen) und hat normalerweise einen Haushaltsplanungsprozess, der die Zustimmung des Kongresses und des Präsidenten erfordert.


Aber logischerweise kann sie diese Beschränkungen ändern oder sie sogar ignorieren. Logischerweise kann sie sich alles "leisten", was in ihrer eigenen Währung verkauft wird. Das Problem ist nicht die Zahlungsfähigkeit, sondern eher die Inflation und die Abwertung des Wechselkurses. Zu hohe Ausgaben könnten unter bestimmten Bedingungen eines von beiden verursachen.


Wiederum ist dies nicht der Ort, um die Bedingungen zu erforschen, unter denen mehr Staatsausgaben zu Inflation oder Währungsabwertung führen würden.


Die wichtigen Schlussfolgerungen sind zwei: a) Steuern oder andere Verpflichtungen schaffen eine Nachfrage nach der Währung; und b) der Wert der Währung hängt davon ab, was man tun muss, um sie zu bekommen.


Wie unsere Mütter uns immer sagten: "Wenn Geld nur auf Bäumen wachsen würde" - dann würde sein Wert die Mühe rechtfertigen, es zu ernten. Bei einer souveränen Währung geht es nicht wirklich um das "Ernten", sondern um die Leichtigkeit, es zu bekommen. Wenn die Wirtschaft über die Vollbeschäftigung hinausgeht, wird eine fortgesetzte Expansion der Staatsausgaben wahrscheinlich die Löhne und Preise in die Höhe treiben.


Wenn die Regierung ihr Angebot für Arbeit von 10 Euro pro Stunde auf 20 Euro pro Stunde erhöht, ist es möglich, dass die Löhne und Preise allgemein steigen. Die "Leichtigkeit" der Geldbeschaffung steigt, und wir können erwarten, dass der Wert des Geldes fällt. Wie eng dieser (umgekehrte) Zusammenhang ist, hängt von der Kapazitätsauslastung und den institutionellen Rahmenbedingungen (Preissetzungsmacht der Unternehmen und Arbeitnehmer) ab.


Und damit kommen wir zurück zur JG. Wie Sie inzwischen wissen, haben wir die JG als lohnstabilisierendes Puffersystem formuliert. Mit seinem festen Lohn- und Leistungspaket und seinem unendlich elastischen Angebot an Arbeitsplätzen schafft es Vollbeschäftigung, ohne die Preise für Arbeiter nach oben zu treiben. Es "verkauft" die Arbeiter mit einem kleinen Aufschlag auf die Vergütung des Programms. Es ist logisch, dass es keinen Druck auf die Löhne ausüben kann, sobald das Vergütungsniveau als Grundlage für die Nation festgelegt ist.


Es handelt sich um ein Modell mit "festem Preis und variabler Menge" - ähnlich wie bei der Lagerung von Rohstoffen. Es stabilisiert den "Preis" der Arbeit - den Lohn. Und dennoch ist die Arbeit "voll beschäftigt" in dem Sinne, dass jeder, der arbeiten will, einen Job zum JG-Lohn bekommen kann.


Einige bevorzugen die Ankurbelung der Nachfrage statt einer JG.


OK, erklären Sie mir, wie die Erhöhung der Nachfrage nach höher qualifizierten und ausgebildeten Arbeitskräften - die einen Bieterkrieg um sie auslöst - dazu führt, dass die Arbeitsplätze zu den weniger qualifizierten und weniger ausgebildeten Arbeitskräften durchsickern, OHNE dass die Löhne und Preise steigen.


Andere bevorzugen ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE: Wohlfahrtszahlungen an alle, Zahlungen, die nicht bedürftigkeitsgeprüft sind).


Erklären Sie mir noch einmal, wie das Arbeitsplätze für die weniger qualifizierten und weniger gebildeten Arbeiter schaffen soll, OHNE dass die Löhne und Preise steigen.


(In Wahrheit wechseln die Befürworter beider Strategien IMMER einfach das Thema - sie gehen NIE auf diese Frage ein. Was, wie ich annehme, in Ordnung ist, aber in diesem Fall können sie die JG nicht legitim mit dem Argument kritisieren, dass es angeblich Inflation verursachen wird - weil ihre eigenen Strategien viel inflationärer sind, in der Tat NUR Arbeitsplätze für Arbeitslose schaffen, indem sie Löhne und Preise steigen lassen, so dass Firmen versuchen werden, weniger qualifizierte und ausgebildete Arbeiter zu substituieren).


Einige sagen, dass die inflationäre Auswirkung der JG nicht durch den Lohn zustande kommt, sondern eher durch den "Nachfrage-Multiplikator", weil die neuen Arbeiter konsumieren können. Denken Sie darüber nach. Diese Ansicht ist noch grausamer als die Ansicht, dass wir Millionen von Menschen arbeitslos halten müssen, um die Preise niedrig zu halten. Denn diese Ansicht besagt, dass wir dafür sorgen müssen, dass sich Millionen Menschen kein Essen leisten können, weil sie sonst die Preise in die Höhe treiben würden.


Es ist also nicht nur Arbeitslosigkeit, die diese Kritiker wollen - sie wollen elende Armut! Eine permanente, hungernde Unterschicht ist notwendig, damit die Bessergestellten in den Genuss niedrigerer Preise kommen, die aus einer unzureichenden Gesamtnachfrage resultieren. Auch das ist eine widersinnige politische Position. (Und sie ist dynamisch inkohärent - ein Punkt, den ich hier nicht weiter verfolgen werde.)


Während unserer gesamten Diskussion über die JG habe ich sie immer als ein "Add-on" dargestellt. Wir können jedes Sicherheitsnetz beibehalten (und sogar hinzufügen), das wir wollen. Wir können jede andere makroökonomisch stabilisierende Politik (monetär oder fiskalisch) beibehalten (und sogar hinzufügen), die wir wollen. Sie bleiben immer noch politische Optionen, sobald wir die JG hinzugefügt haben. Wir können das BGE haben und wir können Nachfragesteuerung haben - wenn wir einen Bedarf dafür finden. Persönlich glaube ich nicht, dass wir beides brauchen werden. Aber wir können die JG implementieren und sehen - wenn wir immer noch Inflation oder unzureichende Nachfrage oder Wechselkursinstabilität bekämpfen müssen, dann soll es so sein. Wir haben alle politischen Optionen zur Verfügung.


Das einzige, was wir ausschließen, ist der Einsatz von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit als politisches Instrument. Mit der JG als Zusatz können wir immer noch alle anderen politischen Maßnahmen einsetzen, die uns zur Verfügung stehen, aber in Bezug auf die Beschäftigung werden diese nur die Größe des JG-Pools verändern: Eine straffe Politik vergrößert den Pool, eine lockere Politik verringert ihn. Aber durch dick und dünn kann jeder einen JG-Job haben, anstatt arbeitslos zu werden.


Also, können wir MMT ohne JG haben? Sicherlich! Wir haben bereits moderne Geldsysteme mit souveränen Währungen und ohne JG. MMT ist der richtige Weg, um diese zu analysieren. Ich glaube, dass es ein politischer Fehler ist, ein modernes Geldsystem ohne eine JG zu betreiben - aber das ist es, was fast alle Länder tun. MMT erlaubt uns, diese zu analysieren und politische Empfehlungen zu geben.


Aber wenn wir die JG in unseren Empfehlungen auslassen, sind wir in unserer Beratung ernsthaft nachlässig.

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