In einem alten US-amerikanischen Lehrbuch zur Ökonomik von Kenneth Boulding (Quelle) findet sich folgendes kleines Gedicht am Anfang des Kapitels zu Fiskalpolitik:
Every action has two facets;
Public debt is private assets,
My receipt is your expense,
Your aggression, my defense.
It's just as true as it is funny,
That Deficits increase our money;
In understanding that there lies
The Power of States to Stabilize.
Eine Übersetzung, leider ohne Beibehaltung der Reime, könnte in etwa so lauten:
Jede Handlung hat zwei Facetten;
öffentliche Schulden sind privates Vermögen,
mein Einkommen sind deine Ausgaben,
deine Aggression meine Verteidigung.
Es ist genauso wahr wie witzig,
dass Defizite unserer Geld vermehren;
Im Verständnis dessen liegt
die Kraft des Staats zur Stabilisierung.
Das Buch erschien 1958, die Studierenden damals lernten also noch so sinnvolle Zusammenhänge wie:
staatliche Defizite erhöhen das Geldvermögen der Haushalte und Unternehmen
die Ausgaben des einen sind die Einkommen des anderen
staatliche Defizite erhöhen die Menge an Bankeinlagen und
der Staat hat die Macht zur Stabilisierung der Wirtschaft
Dies ist nun 60 Jahre her, und heute lernen die Studierenden, dass der Staat einen gewissen "finanziellen Spielraum" (fiscal space) hat und das Regierungen abhängig von Finanzmärkten sind. Die anderen Punkte werden meist nicht mehr betont. Dabei hat sich seit 60 Jahren nicht wirklich etwas geändert, zumindest nicht für die USA. Ja, die Golddeckung ist weggefallen, aber die bestand schon vorher nur noch auf dem Papier. Nach Ende der Goldbindung ist auch der Wechselkurs der USA nicht abgestürzt, wie befürchtet wurde. In der Eurozone, wo dem Staat ein zu hohes Defizit verboten ist, kann der Staat die Wirtschaft nicht mehr stabilisieren.
Kann es sein, dass wir die Lektionen der Vergangenheit vergessen haben? Kann es sein, dass Fiskalpolitik zwingend notwendig ist zur Stabilisierung der Wirtschaft? Haben wir auch zehn Jahre nach Ausbruch der großen Finanzkrise von 2008/09 noch immer nicht gelernt, dass von Märkten abhängige Staaten ihre hoheitlichen Aufgaben nicht erfüllen können?
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