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Moderne Geldtheorie: Eine Einführung in die Makroökonomik souveräner Währungssysteme

Aktualisiert: 1. Mai 2020

Diese Woche starten wir mit einer neuen Beitragsserie auf unserer Website – eine Einführung in die Modern Monetary Theory (MMT). Jeden Freitag werden wir einen relativ kurzen Beitrag veröffentlichen, der schrittweise eine umfassende Theorie aufbaut, wie Geld in souveränen Ländern "funktioniert". Die Beitragsserie entstammt der MMT-Einführung von Randall Wray aus dem Jahre 2011 auf der Website „New Economic Perspectives“ und wurde u. a. von Michael Paetz ins Deutsche übersetzt.


Zudem wird Vorstandsmitglied Dirk Ehnts jeden Freitagabend von 19-20 Uhr auf Facebook Fragen zum Beitrag der Woche beantworten. Ihr könnt uns natürlich auch gerne Fragen über das Emailformular (unten auf dieser Seite) schicken. Da wir MMT verständlich erklären wollen, ermutigen wir Euch, uns mitzuteilen, wenn etwas unklar ist. Da sich diese Einführung über mehrere Wochen strecken wird, werden wir gelegentlich um Geduld bitten müssen. Einige Fragen, die zu Beginn offenbleiben, werden ggf. in einem der nachfolgenden Beiträge geklärt werden.


Die Beiträge beginnen mit den absoluten Grundlagen; Es sind daher keine Vorkenntnisse über MMT – oder gar Volkswirtschaftslehre– erforderlich. Zudem baut jeder Artikel auf den zuvor veröffentlichten Artikeln auf. Da es vor allem um ein Verständnis der Theorie geht, wird nur eingeschränkt auf historische Fallbeispiele eingegangen. Dies ist beabsichtigt, weil diese Einführung einen allgemeinen Überblick geben soll, der an spezifische nationale Gegebenheiten angepasst werden kann.


Wir beginnen heute mit einer kurzen Beschreibung des Sinn und Zwecks dieser Einführung.


MMT Einführung #1


In den letzten Jahren wurde ein neuer makroökonomischer Ansatz entwickelt, der als "moderne Geldtheorie" (Modern Monetary Theorie, kurz MMT) bezeichnet wird. Die Bestandteile dieser Theorie sind nicht neu. Neu ist die Integration des bereits bestehenden Wissens in eine kohärente Analyse. Das Buch Understanding Modern Money von 1998 war mein erster Versuch diese Bestandteile miteinander zu verbinden. Das Buch beschreibt die Geschichte des Geldes sowie die ökonomische Ideengeschichte, die dem Ansatz zugrunde liegt. Es stellt die Theorie vor und untersucht sowohl Fiskal- wie auch Geldpolitik aus der Sicht eines "modernen Geldes".


Seitdem wurden viele Abhandlungen geschrieben, um die operativen Details dieser Theorie zu verstehen. Um es einfach zu sagen: Wir haben aufgedeckt, wie Geld in einem modernen Wirtschaftssystem "funktioniert". Die Ergebnisse unserer Arbeit wurden in einer Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht. Darüber hinaus hat das Wachstum der "Blogosphäre" dazu beigetragen, die Ideen auf der ganzen Welt zu verbreiten. Die "Moderne Geldtheorie" ist heute weithin als mehr oder weniger kohärente Alternative zu herkömmlichen Ansichten anerkannt. Akademische Beiträge und kurze Blogs sind jedoch nicht der richtige Ort für eine umfassende Darstellung dieses Ansatzes.


Diese Einführung versucht, die Lücke zwischen der mathematisch formalen Präsentation akademischer Zeitschriften und der informellen Präsentation in Blogs zu schließen. Wir beginnen mit den Grundlagen, um ein ausreichend differenziertes Verständnis aufzubauen.


Darüber hinaus werden wir eine vermeintliche Schwachstelle ausdrücklich ansprechen: die Entwicklungsländer. Der MMT-Ansatz wurde oft dafür kritisiert, dass er sich zu sehr auf die USA konzentriere. Viele Kritiker behaupteten, dass er wenig oder gar nicht auf die übrigen Nationen der Welt angewendet werden könne, da diese nicht die internationale Reservewährung ausgeben. Natürlich ist diese Kritik übertrieben, weil moderne Geldtheoretiker über eine Reihe anderer Länder geschrieben haben, darunter Australien, Kanada, Mexiko, Brasilien und China. Dennoch befasst sich der Großteil der Literatur insbesondere mit Industrieländern, die mit flexiblen Wechselkursen arbeiten. Selbst einige Befürworter haben argumentiert, dass MMT nicht auf feste Wechselkursregime angewendet werden könne. Und nur wenige MMTler befassten sich mit Entwicklungsländer (von denen viele feste Wechselkursbindungen aufweisen).


Diese Einführung will auch diese Lücke füllen – sie befasst sich explizit mit alternativen Wechselkursregimen sowie der Situation in Entwicklungsländern. In diesem Sinne ist es eine Verallgemeinerung der modernen Geldtheorie.


Im Gegensatz zu meinem 1998 erschienenen Buch wird diese Einführung weder die Geschichte des Geldes noch die ökonomische Ideengeschichte präsentieren. Die Darstellung wird überwiegend theoretisch bleiben, aber auch einige Fallbeispiele anhand von Daten und tatsächlichen Operationen diskutieren. Zum größten Teil wird die Diskussion aber auf der theoretischen Ebene bleiben.


Die Theorie ist nicht besonders schwierig. Wir werden mit einfachen makroökonomischen Identitäten beginnen, um so ein grundlegendes makroökonomisches Verständnis zu entwickeln. Es ist für Diejenigen konzipiert, die bisher nur wenig ökonomisches Hintergrundwissen haben. Darüber hinaus wird Kritik am konventionellen Ansatz der Ökonomie vermieden – davon gibt es bereits genug. Diese Einführung möchte stattdessen einen positiven Beitrag leisten. Das hilft, die Darstellung relativ kurz zu halten.


Wir werden eine makroökonomische Theorie behandeln, die eine Grundlage für die Analyse tatsächlich existierender Volkswirtschaften darstellt. Wir beginnen mit einfacher gesamtwirtschaftlicher Buchhaltung, nämlich der Erkenntnis, dass die Ausgaben auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene immer den Einnahmen entsprechen müssen. Wir entwickeln dann sektorale Finanzierungssalden, die zeigen, dass die Defizite eines Sektors durch Überschüsse eines anderen ausgeglichen werden müssen. Abschließend werden wir argumentieren, dass es notwendig ist, Bestands- und Stromgrößen konsistent zu erfassen. Defizite akkumulieren sich zu finanziellen Schulden, Überschüsse akkumulieren sich zu Finanzvermögen. Diese Ergebnisse haben für alle Nationen Gültigkeit, da sie aus den gesamtwirtschaftlichen Identitäten folgen.


Im Anschluss werden wir verschiedene Währungsregime diskutieren - von festen Wechselkurssystemen (Currency-Boards und Wechselkursbindungen) über kontrolliert-flexible Systeme bis hin zu völlig flexiblen Wechselkursen. Wir können uns die möglichen Regime als ein zusammenhängendes Spektrum vorstellen, in dem viele Industrienationen in der Nähe völlig flexibler Wechselkursen angesiedelt sind, während viele Entwicklungsländer sich in der Nähe der festen Wechselkurse befinden.


Wir werden erörtern, wie eine Regierung, die ihre eigene Währung herausgibt, Ausgaben tätigt. Zunächst liefern wir eine allgemeine Analyse, die für alle Währungsregime gilt; dann diskutieren wir die Beschränkungen, die der einheimischen Politik innerhalb des Wechselkursspektrums auferlegt werden. Wir werden argumentieren, dass flexible Wechselkursregime mehr innenpolitischen Spielraum bieten. Dies ist das berühmte "Trilemma" einer offenen Volkswirtschaft - ein Land kann sich nur für zwei der drei folgenden Strategien entscheiden: Die Festlegung des Wechselkurses, die Festlegung des Zinses und die freie Kapitalmobilität. Wir werden zudem einwenden, dass ein Land, das sich für ein Wechselkursziel entscheidet, möglicherweise nicht in der Lage ist, eine Politik zu verfolgen, die darauf ausgerichtet ist, Vollbeschäftigung mit einem robusten Wirtschaftswachstum zu gewährleisten.


Später - viel später - werden wir zeigen, wie der Ansatz einer "funktionalen Finanzierung" (Functional Finance) von Abba Lerner direkt aus der MMT folgt. Wir werden nicht nur diskutieren, was Geld- und Finanzpolitik tun kann, sondern auch darüber sprechen, was sie tun sollte. Auch dies wird in einer allgemeinen Form getan, weil das wichtigste Ziel dieser Einführung darin besteht, eine Theorie aufzustellen, die als Grundlage für die Politikgestaltung dienen kann, und nicht darin, eine bestimmte politische Agenda voranzutreiben. Die Theorie kann sowohl von Befürwortern eines "großen Staats" als auch von Befürwortern eines "kleinen Staats" verwendet werden. Meine eigenen Präferenzen sind bekannt, aber die MMT selbst ist neutral.


Wie bereits erwähnt, besteht ein Hauptzweck dieser Einführung darin, die Grundsätze, die in der jüngsten Forschung über sektorale Finanzierungssalden und den modernen Geldansatz entwickelt wurden, auf die Untersuchung von Entwicklungsländern anzuwenden. Das Levy Economics Institute hat in Anlehnung an die Arbeiten von Wynne Godley und Hyman Minsky an vorderster Front an Forschungsarbeiten zu MMT mitgewirkt, aber der größte Teil dieser Arbeiten hat sich auf die Situation der entwickelten Länder konzentriert. Jan Kregel hat in seiner Arbeit bei der UNCTAD diesen Ansatz bei der Analyse von Entwicklungsländern angewandt. Andere bei Levy haben diesen Ansatz verwendet, um die Umsetzung von Programmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Industrie- und Entwicklungsländern voranzutreiben. In dieser Einführung werden die verschiedenen politischen Wahlmöglichkeiten dargestellt, die den Nationen aufgrund verschiedener Wechselkurssysteme zur Verfügung stehen.


Schließlich werden wir die Natur des Geldes behandeln. Wir werden sehen, dass Geld keine Ware sein kann, sondern ein Schuldschein sein muss. Selbst ein Land, das mit einem Goldstandard operiert, arbeitet in Wirklichkeit mit monetären Schuldverschreibungen, auch wenn einige dieser Schuldscheine, auf Verlangen in ein Edelmetall umgewandelt werden können. Wir werden zeigen, warum Volkswirtschaften, die auf Geld und Kredit aufbauen, typischerweise unter ihren Möglichkeiten bleiben. Daher bleiben Ressourcen, hierunter auch Arbeitskräfte, ungenutzt. Wir werden auch die Aspekte der Kreditwürdigkeit behandeln, d.h. den Grund, warum einige finanzielle Verbindlichkeiten akzeptabler sind als andere. Wie mein Professor, der verstorbene und große Hyman Minsky, zu sagen pflegte: "Jeder kann Geld schaffen; das Problem liegt darin, die Akzeptanz durchzusetzen".


Diese Beitragsreihe begann als der Versuch, eine grundsätzliche Einführung in die Makroökonomik bereitzustellen, die von einheimischen Analysten in Entwicklungsländern als Alternative zu den makroökonomischen Lehrbüchern verwendet werden kann, weil diese unter einer Vielzahl von Mängeln leiden. Dabei ging es nicht darum, die orthodoxe Theorie zu kritisieren, sondern vielmehr darum, einen positiven Beitrag zu leisten, der die Konsistenz von Strom- und Bestandsgrößen berücksichtigt und gleichzeitig die Unterschiede zwischen alternativen Wechselkurssystemen anerkennt. Jesus Felipe von der Asiatischen Entwicklungsbank drängte mich, eine Zusammenstellung zu erarbeiten, die weiterverbreitet werden könne. Gleichzeitig haben viele Blogger diejenigen, die über MMT geschrieben haben, gebeten, eine kurze Erläuterung dieses Ansatzes zu liefern. Viele Professoren haben auch um ein Lehrbuch gebeten, das sie in Ihren Kursen verwenden können.


Diese Einführung soll zumindest einige dieser Wünsche erfüllen, obwohl ein Lehrbuch für den Einsatz in universitären Kursen noch warten muss. Um das Projekt überschaubar zu halten, werde ich nicht näher auf operative Details eingehen, da dies eine genaue Analyse der in jedem Land angewandten spezifischen Verfahren erfordern würde. Dies ist in akademischen Abhandlungen für einige wenige Länder bereits geschehen (wie oben erwähnt, für die USA, Australien, Kanada und Brasilien, mit einer gewissen Behandlung der Fälle von Mexiko und China). Da ich mich an ein nicht-fachkundiges Publikum wende, vernachlässige ich diese Einzelheiten in dieser Einführung.


Was ich stattdessen biete, ist eine grundlegende Einführung in die MMT, die kein großes vorheriges Studium der Wirtschaftswissenschaften erfordert. Ich werde auf unnötige Mathematik oder Fachjargon verzichten und ausgehend von dem, was man als "erste Prinzipien" bezeichnen könnte, eine Theorie darüber entwickeln, wie Geld wirklich "funktioniert". Und obwohl es verlockend war, ein breites Spektrum von politischen Fragen und aktuellen Ereignissen anzusprechen - insbesondere angesichts des derzeit globalen finanziellen Durcheinanders - werde ich versuchen, dieser Aufgabenstellung treu zu bleiben.


Ich danke der MMT-Gruppe, mit der ich in den letzten zwanzig Jahren zusammengearbeitet habe, um diesen Ansatz gemeinsam zu entwickeln: Warren Mosler, Bill Mitchell, Jan Kregel, Stephanie Kelton, Pavlina Tcherneva, Mat Forstater, Scott Fullwiler und Eric Tymoigne, sowie vielen aktuellen und ehemaligen Studierenden, unter denen ich Joelle LeClaire würdigen möchte, Heather Starzinsky, Daniel Conceicao, Felipe Rezende, Flavia Dantas, Yan Liang, Fadhel Kaboub, Zdravka Todorova, Shakuntala Das, Corinne Pastoret, Mike Murray, Alla Semenova und Yeva Nersisyan. Andere - von denen einige anfänglich bestimmten Aspekten des Ansatzes kritisch gegenüberstanden - haben ebenfalls zur Entwicklung der Theorie beigetragen: Charles Goodhart, Marc Lavoie, Mario Seccareccia, Michael Hudson, Alain Parguez, Rob Parenteau, Marshall Auerback und Jamie Galbraith. Andere internationale Kollegen, darunter Peter Kreisler, Arturo Huerta, Claudio Sardoni, Bernard Vallegeas und Xinhua Liu, ließen mich die Ideen vor Publikum im Ausland präsentieren. Viele Blogger haben dazu beigetragen, sie zu verbreiten, darunter Edward Harrison, Lambert Strether, Dennis Kelleher, Rebecca Wilder, Yves Smith, Joe Firestone, Mike Norman, Tom Hickey und die Leute von New Economic Perspectives aus Kansas City, Lynn Parramore von New Deal 2.0, Huffington Post und Benzinga, die meine Blogs gepostet haben (und vor allem Bill Mitchell bei billyblog!). Alle, die bei CFEPs in den USA und bei Coffee in Australien und Europa in den letzten zehn Jahren dazu beigetragen, die Ideen zu fördern. Ein großes Dankeschön an alle.


Nun aber genug der Vorrede. Nächste Woche fangen wir mit der Theorie an.


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