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Die Tyrannei der Messungen


Der US-Ökonom Jerzy Muller hat ein neues Buch geschrieben mit dem Titel "The Tyranny of Metrics". Es beginnt mit einem einleitenden Zitat von Aaron Haspel: "Those who believe that what you cannot quantify does not exist also believe that what you can quantify, does." Diejenigen, die glauben, was nicht quantifiziert werden kann würde nicht existieren glauben auch dass das was man quantifizieren könne dann auch existiert. Unter dieser Prämisse ergibt vieles einen Sinn, was aus geldtheoretischer oder gesamtwirtschaftlicher Sicht auf den ersten Blick seltsam anmutet.


Muller beginnt mit der Feststellung, dass viele glauben würden, was gemessen werde können auch verbessert werden. Zusammengefasst lautet sein wesentliches Argument, dass heutige Manager weit weg sind von der Produktion und sich in ihrer Ahnungslosigkeit an Zahlen klammern. Muller ist der Meinung, dass man sich zunächst seine eigene Meinung bilden solle und dann Zahlen konsultiert um sie zu überprüfen. Muller sieht es auch als problematisch ab, die Bezahlung an Messbarem auszurichten. Dies würde häufig zu kurzfristiger statt langfristiger Orientierung führen und innovative Prozesse verhindern.


Muller diskutiert das Problem dann anhand einiger Branchen wie Bildung (Universitäten), Gesundheitswesen, Business oder Militär. Leider diskutiert er nicht die schwarze null bzw. das krampfhafte Festhalten an Kennzahlen der Ökonomie. Diese Unsitte ist zwar in Europa noch mehr verbreitet als in den USA, allerdings zeigen in beiden Ländern die Zeiger Richtung mehr Quantifizierung und mehr Kennzahlen.


In der Eurozone beispielsweise sollen die staatlichen Defizite 3% nicht übersteigen. Gleichzeitig gibt es keine Ziele bezüglich der Qualität öffentlicher Güter. Beispielsweise werden keine oder kaum "positive" Zahlen in Bezug auf Lebenserwartung, Einkommenszuwächsen von Minderheiten, sozialen Gruppen wie Mindestlohnbeziehern oder Milliardäre, Zuwächse von Mieten oder Veränderung der Qualität von Wohnraum und öffentlichem Raum berichtet. Hier wird sehr deutlich, dass hinter der "Tyrannei der Messungen" auch eine Machtproblematik steckt, denn die meisten quantitativen Ziele werden politisch gesteuert.


So setzt sich u. a. die Europäische Zentralbank das Ziel einer Inflationsrate von nahe bei aber unterhalb von 2%. Ein Beschäftigungsziel oder (inverses) Arbeitslosigkeitsziel gibt es auf europäischer Ebene jedoch nicht. Dies führt dazu, dass die EntscheidungsträgerInnen bei der EZB genau wissen, was sie zu tun haben, während in anderen Bereichen Veränderungen immer wieder im politischen Prozess erkämpft werden müssen. Das Inflationsziel der EZB ist sicherlich richtig, aber es sollte noch weitere Ziele geben, an denen sich die Politik orientieren kann. Zuletzt sind wir als Gesellschaft dafür verantwortlich, im politischen Prozess die richtigen Zielvorgaben zu installieren. Die Macht der Zahlen ist dabei nicht zu unterschätzen, wie Jerzy Muller richtig beschrieben hat.

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