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Clearing (Verrechnung) und die Pyramide der Verbindlichkeiten

Jeden Freitag veröffentlichen wir einen kurzen Beitrag von Randall Wray, der schrittweise eine umfassende Theorie aufbaut, wie Geld in souveränen Ländern "funktioniert". Die Beitragsserie entstammt der Einführung in die "Modern Monetary Theory" (MMT) von Randall Wray aus dem Jahre 2011 auf der Website „New Economic Perspectives“ und wurde von Michael Paetz und Robin Heber ins Deutsche übersetzt. Zudem wird Vorstandsmitglied Dirk Ehnts jeden Freitagabend von 19-20 Uhr auf Facebook Fragen zum Beitrag der Woche beantworten. Ihr könnt uns natürlich auch gerne Fragen über das Emailformular (unten auf dieser Seite) schicken.


In der vergangenen Woche diskutierten wir die Notierung von staatlichen und privaten Verbindlichkeiten in den staatlichen Recheneinheiten - den Dollar in den USA, den Yen in Japan und so weiter. Wir führten zudem das Konzept der Hebelwirkung (Leveraging) ein. Es ist z.B. üblich, lediglich einen kleinen Betrag der Staatswährung (Bargeld) als Reserve für die staatlichen Schuldscheine zu halten. Gleichzeitig verspricht man, diese Schuldscheine jederzeit in Währung umzuwandeln.

Dies führte auch zu einer Diskussion über einen "Run" auf private Schuldscheine, um deren Tausch in staatliche Schuldscheine zu verlangen. Da die gehaltenen Reserven bei weitem nicht ausreichen, um die Nachfrage nach einem Tausch zu befriedigen, muss die Zentralbank als Kreditgeber letzter Instanz auftreten. Sie kann den Run stoppen, indem sie den Geschäftsbanken ihre eigenen Schuldscheine ausleiht und so den Tausch von privaten in staatliche Schuldscheine (Währung/Bargeld) am Bankautomat ermöglicht. In dieser Woche erklären wir das Verrechnungssystem im Bankensektor und das Konzept der "Pyramide" der Verbindlichkeiten, mit den eigenen Schuldscheinen der Regierung an der Spitze dieser Pyramide.

Verrechnungskonten („Clearing Accounts“) löschen Schuldscheine aus


Banken wickeln ihre gegenseitigen Verbindlichkeiten mit staatlichen Schuldscheinen ab und halten aus diesem Grund entweder etwas Bargeld in ihren Tresoren bereit oder, was noch wichtiger ist, sie halten Reserveeinlagen bei der Zentralbank. Darüber hinaus haben sie Zugang zu zusätzlichen Reserven, falls sie diese jemals benötigen sollten, sowohl durch Kreditaufnahme bei anderen Banken (der so genannte Interbanken-Übernachtmarkt; dies ist der „Fed-Funds“-Markt in den USA) als auch durch Kreditaufnahme bei der Zentralbank.

Alle modernen Finanzsysteme haben Verfahren entwickelt, die sicherstellen, dass Banken nach Bedarf Währung (Bargeld) und Reserven erhalten können, um Konten untereinander und mit ihren Einlegern abzurechnen. Wenn eine nationale Geschäftsbank einen auf eine zweite nationale Geschäftsbank gezogenen Scheck erhält (Anm. der. Red.: also Geld von der zweiten zur ersten Bank überwiesen werden soll), bittet sie die Zentralbank, die Reserven der zweiten nationalen Geschäftsbank zu belasten und ihr selber Reserven gutzuschreiben. Dies wird inzwischen elektronisch abgewickelt. Es ist zu beachten, dass die Guthaben der zweiten Geschäftsbank zwar verringert werden (um den Betrag der belasteten Reserven), ihre Verbindlichkeiten (der Scheck) jedoch um den gleichen Betrag reduziert werden. In ähnlicher Weise werden, wenn ein Einleger den Geldautomaten benutzt, um Geld abzuheben, die Vermögenswerte der Bank (Bargeldreserven) verringert und ihre Schuldscheine gegenüber dem Einleger (die Verbindlichkeiten auf dem Einlagenkonto) um den gleichen Betrag reduziert.

Andere Unternehmen verwenden Bankverbindlichkeiten für die Abrechnung ihrer eigenen Verbindlichkeiten/Rechnungen. Beispielsweise erhält ein Einzelhandelsunternehmen in der Regel Produkte von Großhändlern auf der Grundlage eines Zahlungsversprechens, das erst nach einer bestimmten Zeitspanne (normalerweise 30 Tage) eingelöst werden muss. Großhändler halten diese Schuldscheine bis zum Ende des Zeitraums, woraufhin die Einzelhändler durch einen auf ihr Bankkonto gezogenen Scheck zahlen (oder zunehmend durch eine elektronische Überweisung von ihrem Konto auf das Konto des Großhändlers). Zu diesem Zeitpunkt werden die von den Großhändlern gehaltenen Schuldscheine des Einzelhändlers (Anm. der Red.: die Forderungen gegenüber dem Einzelhändler) vernichtet.

Möglicherweise ist der Großhändler nicht bereit, bis zum Ende der Zahlungsfrist zu warten. In diesem Fall kann der Großhändler die Schuldscheine des Einzelhändlers mit einem Abschlag verkaufen (für weniger als den Betrag, den der Einzelhändler am Ende des Zeitraums zu zahlen verspricht). Der Abschlag ist effektiv der Zins, den der Großhändler zu zahlen bereit ist, um die Mittel früher als versprochen zu erhalten.

In der Regel wird es ein Finanzinstitut sein, das den Schuldschein mit einem Abschlag kauft - dem sogenannten "Diskont" des Schuldscheins. Daher kommt auch der Begriff "Diskontfenster" bei der Zentralbank: die US-Notenbank kauft „Commercial Paper“ - Schuldverschreibungen von Unternehmen - mit einem Abschlag (Diskont) auf. In diesem Fall zahlt der Einzelhändler schließlich am Ende des Zeitraums an den Inhaber dieses Schuldscheins (gegebenenfalls ein Finanzinstitut), der somit effektiv einen Zins erhält (die Differenz zwischen dem für den Schuldschein gezahlten Betrag und dem Betrag, den der Einzelhändler zur Tilgung des Schuldscheins gezahlt hat). Auch hier wird der Schuldschein des Einzelhändlers durch eine Bankverbindlichkeit getilgt (der Inhaber des Einzelhändler-Schuldscheins erhält eine Gutschrift auf sein eigenes Bankkonto).

Pyramidenwährung


Die privaten Verbindlichkeiten lauten nicht nur auf die staatliche Recheneinheit, sondern sind letztlich auch in die Währung der Regierung konvertierbar.

Wie wir bereits früher diskutiert haben, versprechen die Banken ausdrücklich, ihre Verbindlichkeiten in Währung (Bargeld) umzuwandeln (entweder sofort, im Falle von Sichteinlagen oder mit einer gewissen Verzögerung im Falle von Termineinlagen). Andere private Firmen verwenden i.d.R. Bankverbindlichkeiten zum Ausgleich ihrer eigenen Rechnungen. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass sie versprechen, ihre eigenen Verbindlichkeiten in Bankverbindlichkeiten umzuwandeln, indem sie "per Scheck zahlen", und zwar zu einem bestimmten Datum (oder nach anderen im Vertrag festgelegten Bedingungen). Aus diesem Grund müssen sie Einlagen oder Zugang zu Einlagen bei Banken haben, um die Zahlungen vornehmen zu können.

Die Dinge können sogar noch komplexer werden, denn es gibt eine Vielzahl von Finanzinstitutionen (und sogar Nicht-Finanzinstitutionen, die Finanzdienstleistungen anbieten), die Zahlungsdienstleistungen anbieten können. Diese können Zahlungen für andere Firmen leisten, wobei die Netto-Abrechnung zwischen diesen "Nicht-Bank-Finanzinstitutionen" (auch "Schattenbanken" genannt) unter Verwendung der Verbindlichkeiten von Banken erfolgt. Die Banken wiederum verwenden Verbindlichkeiten der Regierung um ihre Konten zu verrechnen.

Es könnte also "sechs Grade der Trennung" (viele Schichten eines finanziellen Hebels) zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner geben, die an der Verrechnung von Konten beteiligt sind.

Wir können uns eine Pyramide von Verbindlichkeiten vorstellen, mit verschiedenen Schichten je nach dem Grad des Abstands zur Zentralbank. Vielleicht besteht die unterste Schicht aus den Schuldscheinen der Haushalte, die von anderen Haushalten, von in der Produktion tätigen Unternehmen, von Banken und anderen Finanzinstitutionen gehalten werden. Der wichtige Punkt ist, dass die Haushalte ihre Verbindlichkeiten in der Regel mit Verbindlichkeiten begleichen, die von denjenigen ausgegeben werden, die in der Schuldenpyramide höher stehen - in der Regel Finanzinstitutionen.

Die nächste Schicht von unten nach oben besteht aus den Schuldscheinen der in der Produktion tätigen Firmen, deren Verbindlichkeiten meist von Finanzinstitutionen gehalten werden, die in der Schuldenpyramide höher stehen (obwohl einige direkt von den Haushalten und anderen Unternehmen gehalten werden), und die ihre Konten meist mit von den Finanzinstitutionen ausgegebenen Verbindlichkeiten begleichen.

Auf der nächsthöheren Ebene haben wir Nichtbank-Finanzinstitute, die ihrerseits Konten mit den Banken abrechnen, deren Verbindlichkeiten in der Pyramide höher sind. Etwas unterhalb der Spitze der Pyramide verwenden die Banken staatliche Verbindlichkeiten für ihre Netto-Abrechnung.

Schließlich befindet sich die Regierung an der Spitze der Pyramide - keine Verbindlichkeiten sind höher (werthaltiger) als ihre nicht-konvertierbaren Schuldscheine.

Die Form der Pyramide ist aus zwei Gründen aufschlussreich. Erstens gibt es eine hierarchische Anordnung, bei der Verbindlichkeiten, die von denjenigen ausgegeben werden, die in der Pyramide höher stehen, im Allgemeinen eine höhere Akzeptanz genießen. In gewisser Hinsicht ist dies auf die höhere Kreditwürdigkeit zurückzuführen (die Verbindlichkeiten der Regierung sind frei von Kreditrisiken; wenn wir die Pyramide der Bankverbindlichkeiten, in Richtung nichtfinanzielle Geschäftsverbindlichkeiten und schließlich zu den Schuldscheinen der Haushalte hinuntergehen, steigt das Risiko tendenziell - dies stellt aber keine feste und eindeutige Regel dar).

Zweitens haben die Verbindlichkeiten auf jeder Ebene in der Regel eine Hebelwirkung auf die Verbindlichkeiten der höheren Ebenen. In diesem Sinne basiert die gesamte Pyramide auf der Hebelwirkung (einer relativ kleinen Anzahl von) staatlichen Schuldnern. In der Regel sind in der Pyramide - zumindest im Falle einer finanziell entwickelten Wirtschaft - weitaus mehr Verbindlichkeiten unten zu finden als oben.

Beachten Sie jedoch, dass im Falle einer konvertierbaren Währung, die Währung der Regierung nicht an der Spitze der Pyramide steht. Da hier die Regierung verspricht, ihre Währung auf Verlangen und zu einem festen Wechselkurs in etwas anderes (Gold oder Fremdwährung) zu tauschen, steht dieses "etwas andere" an der Spitze der Pyramide. Die Konsequenzen sind in früheren Beiträgen angesprochen worden: Die Regierung muss das „Ding“, in das sie ihre Währung verspricht umzutauschen, besitzen oder zumindest Zugang dazu haben. Wie wir in den kommenden Wochen sehen werden, kann dies ihre Fähigkeit einschränken, einige politische Ziele wie Vollbeschäftigung und robustes Wirtschaftswachstum zu erreichen.

Nächste Woche werden wir einen Exkurs machen, um uns mit dem merkwürdigen Euro-Währungssystem zu befassen. Dies ist das größte Experiment, das die Welt je gesehen hat. Hier wird versucht, Charles Goodharts Regel "eine Nation, eine Währung" zu untergraben. Die Mitglieder der Europäischen Währungsunion haben jeweils ihre eigenen souveränen, staatlichen Währungen aufgegeben, um den Euro einzuführen. Es gab zwar auch andere derartige Experimente, aber sie waren klein, meist vorübergehend und oft eine Notmaßnahme. Im Fall des europäischen Währungsraumes betrifft es jedoch starke, entwickelte, reiche und einigermaßen gesunde Nationen, die freiwillig ihre souveränen Währungen zugunsten des Euro aufgaben. Das Experiment ist, gelinde ausgedrückt, nicht besonders gut verlaufen.

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