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2. EuropÀische MMT-Konferenz, Panel 1: Unions and Demand Policy

Auf diesem spannenden Podium bei der 2. EuropĂ€ischen MMT-Konferenz tauschen sich Friederike Spiecker (Diplom-Volkswirtin), Oliver Picek (Momentum Institut Wien) und Lachlan McCall (Australian National University) zu Ursachen und Lösungen des Problems hoher Arbeitslosigkeit aus. Sie diskutieren Chancen und Risiken fiskalpolitischer Maßnahmen unter BerĂŒcksichtigung der Erkenntnisse der Modern Monetary Theory (MMT). Weitere Themen sind die Bedeutung der Gewerkschaften fĂŒr Lohnniveau und Arbeitslosigkeit, sowie Instrumente wie die Jobgarantie und ein bedingungsloses Grundeinkommen.


Chancen und Risiken der Fiskalpolitik

Die grundsĂ€tzliche Perspektive der MMT auf Arbeitslosigkeit sieht den Staat (sofern er eine souverĂ€ne WĂ€hrung hat und ein flexibles Wechselkurssystem herrscht) in zentraler Verantwortung, wie Moderator Christian Reilly zu Beginn der Diskussion kurz skizziert. Da der Staat Steuerforderungen in seiner WĂ€hrung erhebt, suchen die Menschen nach Arbeit, die in dieser WĂ€hrung bezahlt wird. Finden sie keine solche bezahlte Arbeit, sind sie nach klassischer ökonomischer Definition arbeitslos. Sofern VollbeschĂ€ftigung das Ziel ist, sollte der Staat in diesem Falle mit Hilfe von Staatsausgaben selbst die Menschen beschĂ€ftigen, die auf dem Arbeitsmarkt nicht fĂŒndig geworden sind.

Friederike Spiecker sieht den Auslöser fĂŒr steigende Arbeitslosigkeit allem voran in der InstabilitĂ€t der Marktwirtschaft. Das fĂŒhrt sie zu dem Argument, dass (entgegen eines neoklassischen Narratives) durch einen Anstieg der Reallöhne die Arbeitslosigkeit verringert wird. Durch ein höheres Lohnniveau steige die Kaufkraft der Bevölkerung und mit ihr die aggregierte Nachfrage, was zu einer Ausweitung der Produktion und damit zu geringerer Arbeitslosigkeit fĂŒhrt. In diesem Sinne plĂ€diert Spiecker fĂŒr eine „Goldene Regel“ in der Lohnentwicklung: Die Wachstumsrate der Nominallöhne soll dem Wachstum der ProduktivitĂ€t zuzĂŒglich des politischen Inflationsziels entsprechen.


Die Agenda-Politik der rot-grĂŒnen Bundesregierung unter Gerhard Schröder zeige, dass Arbeitslosigkeit bei Nichtbeachtung dieser goldenen Regel nicht beseitigt sondern lediglich exportiert wĂŒrde, argumentiert Spiecker weiter. Die Stagnation in der Reallohnentwicklung infolge der Agenda 2010 fĂŒhrte zu HandelsbilanzĂŒberschĂŒssen und damit mehr BeschĂ€ftigung in der Exportwirtschaft. Die korrespondieren Handelsbilanzdefizite in anderen LĂ€ndern (maßgeblich im SĂŒden der Eurozone) ließen aber die dortige Arbeitslosigkeit in gleichem Maße steigen, wie sie in Deutschland gesunken ist.

Oliver Picek bringt die Fiskalpolitik als makroökonomischen Stabilisator ins GesprĂ€ch und bemerkt, dass sich auch der öffentliche Diskurs hin zu einer steigenden Akzeptanz dafĂŒr entwickelt, dass der Staat Budgetdefizite aufweist um durch eine expansive Fiskalpolitik die Arbeitslosigkeit zu senken.

Spiecker bekrĂ€ftigt, dass nur der Staat eine Rezessionsspirale bremsen kann, die sich aus dem Keynesianischen Sparparadox ergibt. Fiskalpolitik als antizyklischer Konjunkturstabilisator sei entscheidend fĂŒr dauerhaft niedrige Arbeitslosigkeit. Als zentralen Beitrag der Modern Monetary Theory zur Umsetzung einer solchen Fiskalpolitik sieht Spiecker die Erkenntnis, dass „Staatsschulden“ nicht zurĂŒckgezahlt werden mĂŒssen. Gleichwohl zeigt sie sich skeptisch ob des gesellschaftlichen VerstĂ€ndnisses fĂŒr diese Einsicht.

Die Gesamtnachfrage als entscheidende Variable

Lachlan McCall bringt das GesprĂ€ch auf die Standpunkte unterschiedlicher Theorierichtungen. Die neoklassische Position lĂ€ge darin, dass in schwachen konjunkturellen Phasen die Löhne sinken, wodurch es den Unternehmen aber möglich bleibe, keine Angestellten zu entlassen. Sinkende Löhne fĂŒhren also laut neoklassischer Theorie dazu, dass die Arbeitslosigkeit nicht steigt. Empirisch sei aber das Gegenteil zu beobachten. Wenn die Löhne fallen, steigt die Arbeitslosigkeit in der Regel. Die Strömung des New-Keynesianism sucht laut McCall eine ErklĂ€rung in der verzögerten ReaktionsfĂ€higkeit von Löhnen auf Konjunkturschwankungen. Dabei sei der New-Keynesianism aber weder neu noch Keynesianisch, denn er ignoriere die zentrale Variable, auf die Keynes aufmerksam gemacht hat: die Nachfrage. Damit diese Nachfrage in konjunkturell schwachen Phasen nicht einbreche, bedĂŒrfe es eines fiskalischen Stabilisators, wie Spiecker und Picek ebenfalls behaupten.


Eine Schwierigkeit sieht McCall in der genauen Ausgestaltung dieses Stabilisators. Sind die Staatsausgaben zu gering, kann die Arbeitslosigkeit nicht wirkungsvoll bekĂ€mpft werden, sind sie jedoch zu hoch, droht Inflation. Mit dem Konzept der Jobgarantie bietet die MMT eine Idee fĂŒr einen automatischen fiskalischen Stabilisator. Eine einmal implementierte Jobgarantie hat den Vorteil, dass die Politik nicht in jeder Situation aufs Neue ĂŒber die Ausgestaltung eines fiskalischen Stimulus verhandeln mĂŒsse.

Die schwierige Position der Gewerkschaften

Spiecker spricht das Dilemma der Gewerkschaften bei hoher Arbeitslosigkeit an. Diese sind in Phasen der konjunkturellen SchwĂ€che tendenziell ebenfalls schwach, weil die Angst im Raum steht, dass die Unternehmen bei höheren TarifabschlĂŒssen Arbeitnehmer entlassen könnten. McCall stimmt zu und erweitert den Punkt um die Dimension der gesellschaftlichen Verteilung von Wohlstand indem er mit Marx argumentiert, die „Armee der Arbeitslosen“ liege einzig im Interesse der Kapitalisten, weil dadurch die Position der Arbeitnehmer im Ringen um die Höhe der Löhne geschwĂ€cht wird. Politik, die eine „natĂŒrliche Arbeitslosigkeit“ akzeptiere oder sogar befĂŒrworte, sei in erster Linie als Drohkulisse auf Arbeitnehmer ausgerichtet, um deren Verhandlungsposition zu schwĂ€chen.

Jobgarantie vs. bedingungsloses Grundeinkommen vs. Mindestlöhne

Im Weiteren dreht sich die Diskussion um die Frage, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) im Vergleich zu einer Jobgarantie zu bewerten ist. McCall fĂŒhrt ins Feld, dass die Studie zum BGE in Finnland gezeigt habe, dass die Labour Participation Rate nach EinfĂŒhrung des Grundeinkommens unverĂ€ndert geblieben sei. Der Vorwurf, das mit einem bedingungslosen Grundeinkommen das BedĂŒrfnis einer produktiven TĂ€tigkeit nachzugehen abnehme, stimme also nicht. Gleichwohl spricht sich McCall eher fĂŒr eine bedingungslose Arbeitslosenhilfe, anstatt des BGE aus.

Attraktiver erscheint allen Diskutant*innen aber die Jobgarantie, da sie die Nachfrage gezielt dort steigere wo es notwendig und sinnvoll sei und zudem im Gegensatz zum BGE kein Inflationsrisiko berge, wie Picek bemerkt.

Probleme gebe es aber laut Spiecker auch bei der Jobgarantie. In einer hochspezialisierten Gesellschaft sei die Jobgarantie schwer sinnvoll einsetzbar. Die BeschĂ€ftigung im Sektor öffentlicher GĂŒter und Dienstleistungen bedĂŒrfe oft einer hohen Qualifikation. Diese brĂ€chten Jobgarantie-Arbeiter aber oft nicht mit. Spiecker zieht einen guten Arbeitslosenschutz, hohe Mindestlöhne und Investitionsanreize fĂŒr Unternehmen vor. Sie meint: Der öffentliche Sektor taugt nicht als Auffangbecken fĂŒr privatwirtschaftlich induzierte BeschĂ€ftigungslosigkeit.

Mindestlöhne wĂŒrden zudem entgegen der Warnungen neoklassischer Ökonom*innen keine erhöhte Gefahr fĂŒr steigende Arbeitslosigkeit darstellen. Auch die Empirie gebe dafĂŒr keine Anhaltspunkte. Wenn neoklassische Ökonom*innen nach der EinfĂŒhrung eines Mindestlohns in Deutschland erklĂ€ren mussten, warum die Arbeitslosigkeit nicht gestiegen ist, verwiesen sie laut Spiecker hĂ€ufig auf die gleichzeitig erstarkende Konjunktur. Allerdings vergessen sie dabei, dass dieser wirtschaftliche Aufschwung ein Ergebnis der gestiegenen Gesamtnachfrage sei, die auf die EinfĂŒhrung des Mindestlohns selbst zurĂŒckgeht.

Spiecker plĂ€diert dafĂŒr im makroökonomischen Diskurs wieder „zurĂŒck zu den Wurzeln“ zu kommen, womit sie meint, Arbeit und ihre Bezahlung wieder mehr ins Zentrum der Debatte zu rĂŒcken. Eine gĂ€ngige Sicht lautet: Gewerkschaften sind verantwortlich fĂŒr die Arbeitslosigkeit und die Geldpolitik ist verantwortlich fĂŒr die Inflation. Das kann man aber auch umgekehrt sehen: Hohes Nominallohnwachstum treibt die Inflation (Lohn-Preis-Spirale) und die Geldpolitik kontrolliert den Zins und damit ĂŒber Investitionsanreize Wachstum und BeschĂ€ftigungsniveau.

Picek merkt an, dass ein weiteres Problem der Jobgarantie (JG) ein möglicherweise geringer Anreiz fĂŒr JG-BeschĂ€ftigte sei, in die Privatwirtschaft zu wechseln. Daher dĂŒrfe der Lohn fĂŒr JG-ArbeitsplĂ€tze nicht zu hoch sein. Einigkeit besteht darin, dass die Jobgarantie nicht als Wachstumsmotor fĂŒr die Wirtschaft missverstanden werden dĂŒrfe. Wachstum und Entwicklung könne und solle nur aus dem Privatsektor kommen. Dieser mĂŒsse zu diesem Zweck in Gang gebracht werden. Dieses Ingangbringen sei der einzige Zweck der Jobgarantie. Hohe Steuern auf Unternehmensgewinne, die nicht reinvestiert werden, könnten zudem Wirtschafts- und BeschĂ€ftigungswachstum fördern.

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