Am 15. Oktober 2022 wird im Bayerischen Viertel in Berlin für die Familie Lansburgh ein Stolperstein verlegt. Um 11:00 Uhr findet dieses Ereignis in der Landshuter Straße 15 in Schöneberg statt. Alfred Lansburgh war ein bekannter Ökonom. Hier eine Leseprobe aus seinem Aufsatz "Das gute und das schlechte Geld" von 1917:
In einem Briefe, den ein Mitglied der bekannten russischfranzösischen Finanzierfamilie Raffalovich kürzlich an den Herausgeber des Londoner „Economist“ gerichtet hat, bezeichnet der Briefschreiber es als eine der größten Gefahren lange anhaltender Krisen, daß in solchen Zeiten die bedenklichen Geldtheorien eines John Law, der französischen Revolution und des nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieges regelmäßig ihre Wiedergeburt feierten. So ist es in der Tat. Tiefgehende Krisen, mögen sie ihren Ursprung in wirtschaftlichen Umwälzungen oder in kriegerischen Verwickelungen haben, erzeugen in jedem Lande, das von ihnen betroffen wird, einen Kapitalbedarf, der sich nur zum kleinsten Teil im Steuerwege decken läßt, den man aber auch nur schweren Herzens im Anleihewege befriedigt, weil man sich scheut, die kommenden Zeiten und nächsten Generationen allzu sehr zu belasten. Auch entsprechen Zeitpunkt und Umfang der Nachfrage nach Anleihen nicht immer dem Kapitalbedarf. Da liegt der Anreiz, einen Teil des Kapitals durch Ausgabe größerer Mengen neuer Geldzeichen zu decken, für die Regierungen außerordentlich nahe. Die Vermehrung des Geldumlaufs läßt sich ohne Mühe und fast ohne Kosten bewerkstelligen, erspart dem Staate Zinsen und läßt eine sichtbare Belastung weder für den Einzelnen noch für die Gesamtheit erkennen. Sie scheint sogar einem dringenden Gebot der Stunde zu entsprechen. Denn da jede Krisis mit einem „Geldmangel“ an irgendeiner Stelle des Wirtschaftskörpers verbunden ist, so sieht die Beseitigung dieses Mangels durch Ausgabe neuer Geldzeichen wie eine ganz selbstverständliche Pflicht jeder gewissenhaften Staatsleitung aus. Ein einziger Übelstand springt in die Augen: Sobald die Geldvermehrung ein bestimmtes bescheidenes Maß überschreitet, gerät sie in Widerspruch mit den anerkannten, gesetzlich festgelegten Grundlagen der Landeswährung. Sie zwingt also die Regierungen, die Währungsgesetze zu suspendieren. Und das tut keine Regierung gern; einmal, weil das kodifizierte Geldwesen jedes Landes das wohlerwogene Endergebnis einer langen, oft schmerzlichen Erfahrung ist, und zum andern, weil die plötzliche Änderung der geldlichen Grundlage des Verkehrs meist einer Notmaßregel ähnlich sieht und als solche einen schlechten Eindruck macht.
An diesem Punkt setzt nun die Gefahr ein, von der Raffalovich spricht: Die Wissenschaft springt dem Staate in seinem Dilemma hilfreich bei. Sie fordert ihn auf, alle Bedenken fallen zu lassen und die Währungsgesetze, die der Geldvermehrung im Wege stehen, ruhig umzustoßen. Denn diese Gesetze wurzelten in einer ganz veralteten, von der jeweils neuesten Stufe der nationalökonomischen Erkenntnis überwundenen Theorie. In ihrer Beseitigung könne die Öffentlichkeit daher nicht das Eingeständnis einer Notlage, sondern nur den Übergang vom Irrtum zur Wahrheit erblicken. Den Nachweis für die Richtigkeit dieser Behauptung versucht die Wissenschaft den Regierungen zu erbringen, indem sie eine neue Lehre vom Gelde entwickelt und begründet, die den Staat als den Vertreter der Gesamtheit oder als den Ordner des Verkehrslebens zum absoluten Herrn über Art und Menge des Geldes macht. Die Gedankengänge, aus denen heraus diese Lehre sich systematisch entwickelt, weichen stark von einander ab. Jeder Autor hat seine besondere Auffassung vom Gelde, seinem Wesen und seinen Funktionen. Aber das Endergebnis für die Staatspragmatik ist immer dasselbe. Es läuft auf die Feststellung hinaus, daß allen nationalen Währungssystemen zum Trotz nichts den Staat hindere, dem gesteigerten „Bedarf“ an Geld einen entsprechend erhöhten Umlauf gegenüberzustellen.
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