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Merkantilismus, Freihandel und Neomerkantilismus


Das Jahr hat kaum begonnen und schon tobt die nächste Auseinandersetzung durch den Wirtschaftsteil: die Regierung Trump fordert ein Ende der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse. Ein Artikel bei SPON fordert einen Kommentar geradezu heraus, da er doch die Fakten ganz schön ordentlich durcheinander schüttelt und Wörter in Zusammenhänge stellt, in die sie eigentlich nicht gehören. Im folgenden möchte ich kurz auf ein paar monetäre und ideengeschichtliche Aspekte des Außenhandels hinweisen.


Der Artikel "Internationale Unordnung: Jetzt sind wir am Zug" beschäftigt sich mit dem "Ende der Globalisierung", welches Trump einläuten würde. Wie kaum ein anderes Land habe die Bundesrepublik auf die Stabilität dieser Weltwirtschaftsordnung vertraut, heißt es dort, und: "insbesondere der gigantische außenwirtschaftliche Überschuss von rund einer Viertel Billion Euro macht Deutschland anfällig für handelspolitische Verwerfungen". Beschworen wird, eine Rückkehr zu Strafzöllen und Wirtschaftskrieg zu vermeiden und am Ende wird - erstaunliche Wendung! - für Transferzahlungen von deutschen Steuerzahlern geworben, um die EU zu stabilisieren.


Bevor wir aber zu dieser Folgerung kommen, muss erst einmal überprüft werden, in wie weit denn der Artikel die Fakten richtig interpretiert. Ansetzen könnte man gleich bei der Überschrift: "Internationale Unordnung". Was meint der Autor wohl damit? Anscheinend haben wir momentan eine Weltwirtschaftsordnung, die nicht weiter definiert wird, und Trump will sie jetzt aufkündigen. Diese Auffassung wird allerdings selten vertreten, denn meist heißt es, dass wir nach dem System von Bretton Woods in den frühen 1970ern eine "internationale Unordnung hätten". Selbst William White von der BIZ vertritt diese Ansicht. Flexible Wechselkurse und unregulierte Finanzströme setzen die Länder großem Druck aus, da diese ständig eine Auf- oder Abwertung der Währung befürchten müssen. Damit könnte auch die Inflationsrate mächtig ins Schwanken geraten, wenn beispielsweise der steigende Ölpreis mit einem starken US-Dollar zusammenfällt, so wie jetzt in der Eurozone.


Wer profitiert von der "internationalen Unordnung"? Im Bretton Woods-System der Nachkriegszeit hatten sich die Länder verpflichtet, ausgeglichene Leistungsbilanzen anzustreben. Dies war eine Folge der globalen Ungleichgewichte in den 1920ern, die erst zum "Great Crash" und dann zur Großen Depression führten. Was ist das Problem bei diesen Ungleichgewichten? Ein Land, welches relativ viel exportiert, hat mehr Arbeitsplätze als ein vergleichbares Land, welches relativ wenig exportiert (bei gleichen Importen). Das ganze ist weitestgehend ein Nullsummenspiel, denn die Exporte des einen sind immer die Importe des anderen. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Verteilung der Exporte ein Nullsummenspiel ist, nicht jedoch die Höhe der Exporte und Importe. Dies geht auf David Ricardo (Bild oben links) zurück, der die Theorie von Adam Smith auf den internationalen Handel anwandte.


Freihandel, so Ricardo, ist deswegen gut für alle Beteiligten, da sich die Länder auf die Produktion der Güter spezialisieren können, bei deren Herstellung die Produktivität relativ hoch ist. Ein Beispiel: Fredland und Wilmaland konsumieren beide Beeren und Fische, die sie durch Sammeln bzw. Angeln erzeugen. Allerdings brauchen die Arbeiter in Wilmaland nur 2 Stunden zum Fischfang und 1 Stunde zum Beerensammeln, während es in Fredland 4 bzw. 3 Stunden sind. Nun könnte man meinen, dass Fredlandia nichts anzubieten hat, was Wilmaland kaufen wollte, da Wilmaland ja in beiden Bereichen eine höhere Produktivität aufweist.


Wenn man genau hinsieht, dann erkennt man allerdings doch eine Möglichkeit, wie sich die beiden Länder durch internationalen Handel besser stellen können. Wilmaland konzentriert sich auf Fischfang und Fredland auf Beerensammeln. In beiden Ländern sparen die ArbeiterInnen nun eine Stunde Arbeitszeit, da sie sich auf die Tätigkeit spezialisieren, in der sie den komparativen Vorteil haben, also relativ produktiv sind. Zwei Portionen Beeren in Wilmaland werden in zwei Stunden gesammelt, eine davon gegen Fisch getauscht, der in Fredland gefangen wurde. Dort wurde zweimal drei Stunden statt 3+4=7 Stunden gearbeitet, also geht es beiden Ländern besser!

Wichtige Annahmen bei dem Modell sind Vollbeschäftigung (es gibt keine ungewollte Arbeitslosigkeit) und eine ausgeglichenen Handelsbilanz: es werden Güter getauscht und nicht gekauft. Dadurch sind die Wohlfahrtswirkungen für beide Länder ganz klar: internationaler Handel führt zu Wohlstandsgewinnen für beide Länder, sofern die Annahmen erfüllt sind!


Bei der Frage der Annahmen ist es wie bei der Schwangerschaft: entweder ja oder nein, "ein bisschen" gibt es nicht. Dies bedeutet, dass die positiven Wirkungen des Freihandels nur gelten, wenn alle Annahmen komplett erfüllt sind. Sobald die Leistungsbilanz beispielsweise nicht im Gleichgewicht ist, lassen sich keine Vorhersagen mit dem Ricardo-Modell mehr über die Wohlfahrtswirkungen des Freihandels treffen. Schließlich bekommt nun ein Exporteur als Bezahlung nicht nur Güter, sondern auch Forderungen in Form von Schuldscheinen: Geld, Einlagen in Banken, Aktien, Kredit, etc.. Hier kommt Unsicherheit mit ins Spiel, ob die Schuldscheine in Zukunft für Güter und Dienstleistungen eingelöst werden können. Eventuell verändert sich der Wechselkurs, oder der Gläubiger geht in die Pleite, oder es gibt nichts dolles zu kaufen für die Forderungen, usw.


In der Realität haben einige der deutschen Handelspartner eine sehr hohe Arbeitslosigkeit, und die deutsche Leistungsbilanz ist auch gar nicht ausgeglichen. Weder ist sie dies heute noch war sie das in den letzten Jahren; Stichwort: Exportweltmeister. Einen solchen Zustand hätten Smith und Ricardo sicherlich kritisiert und ihn als neo-merkantilistisch bezeichnet. Wenn ein Land seine Löhne und damit seine Preise über viele Jahre drückt und dann die Arbeitslosigkeit zuhause dadurch beseitigt, dass man sie ins Ausland exportiert, dann hat dies überhaupt nichts mit Freihandel zu tun. Dies ist purer Merkantilismus, eine Wirtschaftsordnung, bei der die Netto-Exporte (also Exporte minus Importe) maximiert werden. Dabei werden auch Zölle eingesetzt, um Importe zu behindern und Geldabfluss zu stoppen. Gegen den Merkantilismus haben sowohl Smith wie auch Ricardo angeschrieben, denn der "Wohlstand der Nationen" war ja der Konsum aller, und nicht das Erzielen von übermäßigen Profiten auf ausländischen Märkten, welche nur einer kleinen Elite zugute kamen.


Wenn es also im Artikel bei SPON heißt, "insbesondere der gigantische außenwirtschaftliche Überschuss von rund einer Viertel Billion Euro macht Deutschland anfällig für handelspolitische Verwerfungen", dann wird hier Ursache und Effekt vertauscht. Der gigantische außenwirtschaftliche Überschuss ist selbst eine handelspolitische Verwerfung, und zwar die größte seiner Art in der Weltwirtschaft. Kein anderes Land hat einen derart gigantischen Überschuss der Exporte über die Importe. Das Ausland wird also in die Verschuldung gezwungen, da ja der Rest der Welt mehr importiert als exportiert. Wenn aber die Ausgaben über den Einnahmen liegen, dann muss der Rest der Welt seine (Netto-)Verschuldung erhöhen!


Insofern ist eigentlich Deutschland im 21. Jahrhundert das Land, welches von der anhaltenden "internationalen Unordnung" scheinbar am meisten profitiert hat. Dies relativiert sich allerdings wieder, wenn man auf die Verteilung schaut: die Reallöhne haben lange Jahre stagniert, und die Exporterfolge haben die Taschen von relativ wenigen gefüllt. Ein Umsteuern in der Handelspolitik - gerade auch in der Eurozone - ist zu begrüßen, aber nicht aus den falschen Gründen. Deutschland ist nicht das Opfer von merkantilistischer Handelspolitik der US-Regierung, sondern selbst der Täter. Erst wurden die Länder der Eurozone bei festem Wechselkurs in die Defizite getrieben, da sie das deutsche Lohndumping nicht mitmachen konnten oder wollten, dann wurde der Euro durch QE so stark verbilligt, dass die ganze Eurozone nun einen Exportüberschuss gegenüber dem Rest der Welt hat. Wer seine eigenen Hausaufgaben nicht macht und sie stattdessen an die Handelspartner weiterreicht, muss sich wohl nicht wundern, das diese irgendwann neu verhandeln wollen.

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