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Lohnpolitik in einer Währungsunion

Vor 20 Jahren wurde in der Frankfurter Rundschau ein Artikel von Heiner Flassbeck veröffentlicht, der auch heute noch lesenswert ist. Unter dem Titel "Und die Spielregeln für Lohnpolitik in einer Währungsunion?" (pdf) fragte Flassbeck, wie sich denn in der Eurozone wohl die Löhne entwickeln müssten, damit das ganze Konstrukt funktionieren würde. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der letzten 20 Jahre erscheint der Text als sehr klarsichtig:


"Wie aber sollen sich die anderen Länder an den Vorreiter bei der Kostensenkung anpassen ohne die Möglichkeit der Abwertung bei einer einheitlichen europäischen Währung, wenn zunehmende Transfers ausgeschlossen sind? Müssen dann auch deren Lohnstückkosten sinken? Wenn ja, wie hält man dann die Preise stabil, d.h. verhindert eine Deflation? Hinzu kommt, wenn die Preise trotz sinkender Lohnstückkosten stabil blieben, würden die Arbeitnehmer dauerhaft bei der Einkommensverteilung gegenüber den Beziehern von Gewinneinkommen zurückfallen. Ist das mit der Währungsunion intendiert? Welches sind die Spielregeln für die Lohnpolitik in einer Währungsunion?"


Wenn also Deutschland in den ersten Jahren der Eurozone die Löhne unterhalb der Produktivität wachsen lässt, was passiert dann in den anderen Ländern? Zu einer großen Beliebtheit hat es in der Krise die Darstellung der Lohnstückkosten gebracht. Das Bundesfinanzministerium zeigt folgende Graphik (Quelle):



Wenn wir auf die Fragen von Flassbeck zurückkommen, dann können wir jetzt, im Jahr 2017, die Fragen in etwa wie folgt beantworten: 


1. Wie aber sollen sich die anderen Länder an den Vorreiter bei der Kostensenkung anpassen ohne die Möglichkeit der Abwertung bei einer einheitlichen europäischen Währung, wenn zunehmende Transfers ausgeschlossen sind?


A(ntwort): Durch Senkung der Staatsausgaben und Erhöhung der Steuern (Austeritätspolitik) sowie Nominallohnsenkungen. Dies soll die Wettbewerbsfähigkeit wieder erhöhen. (Quelle)


2. Müssen dann auch deren Lohnstückkosten sinken?


Ja.


3. Wenn ja, wie hält man dann die Preise stabil, d.h. verhindert eine Deflation?


Darüber hat sich kaum jemand vorher Gedanken gemacht, weil die meisten Ökonomen und Politiker dachten, dass die Inflationsrate von der Geldmenge abhängt und diese von der Europäischen Zentralbank (EZB) beeinflusst wird.


4. Hinzu kommt, wenn die Preise trotz sinkender Lohnstückkosten stabil blieben, würden die Arbeitnehmer dauerhaft bei der Einkommensverteilung gegenüber den Beziehern von Gewinneinkommen zurückfallen. Ist das mit der Währungsunion intendiert?


Das wird man jetzt nur schwer ermitteln können.


5. Welches sind die Spielregeln für die Lohnpolitik in einer Währungsunion?


Die Länder, welche die Löhne am schwächsten anwachsen lassen, geben quasi das Lohnwachstum vor. Wer sich daran nicht anpasst, rutscht in eine Krise und bekommt von der Troika eine Politik verordnet, der die eigenen Wähler niemals zugestimmt hätten. Vgl. Griechenland u. a..

Leider hat die Eurozone, so wie sie momentan gestaltet ist, genau die Art von wirtschaftlicher Veränderung hervorgebracht, die Heiner Flassbeck befürchtet hat. Wer sich mit der Eurokrise beschäftigen möchte, sollte u. a. mit diesem zwanzig Jahre alten Artikel anfangen und versuchen, neue Antworten auf die alten Fragen zu finden.

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