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Keynes und seine Allgemeine Theorie von 1936: wie wird die Höhe der Investitionen bestimmt?


Mehr als 70 Jahre nach dem Tod von John Maynard Keynes sind wir heute wieder in einer Situation, in der die Nachfrage das Problem der Ökonomie zu sein scheint: die Unternehmen könnten mehr produzieren, sehen allerdings nicht genügend Konsumenten. Arbeitslosigkeit und deflationäre Tendenzen haben durch Vollbeschäftigung mächtige Gewerkschaften und hohe Inflationsraten abgelöst. Vielen Studierenden ist die "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" nicht bekannt. An den Universitäten heißt es, Keynes sei mit dem IS/LM-Modell bereits beschrieben. Zudem wäre sein Werk nur schwer verdaulich und inzwischen überholt. Diese Einschätzungen halte ich für zu voreilig.


Das IS/LM-Modell betont, dass die Beschäftigung von der Höhe der Produktion abhängt, dieser wiederum von der Höhe der Investitionen, und diese wiederum von einem Bündel an anderen Größen. Hyman Minsky, der sich auf Keynes' Schultern stellt in seinen eigenen Theorien, fasst die Bestimmung der Höhe der Investitionen in der Allgemeinen Theorie in seinem eigenem Buch ("John Maynard Keynes") wie folgt zusammen: 


„The determination of investment, therefore, is a four-stage process in The General Theory. Money and debts determine an „interest rate“; long-term expectations determine the yield – or expected cash flow – from capital assets and current investment (i.e., the capital stock); the yield and the interest rate enter into the determination of the price of capital assets; and investment is carried to the point where the supply price of investment output equals the capitalized value of the yield“.


Diese kurze Passage hat es in sich, denn hier wird erklärt wie letztlich Geschehnisse auf den Finanzmärkten einen Einfluss auf die Höhe der Investitionen haben. Im folgenden möchte ich diesen Punkt kurz erläutern, da die Investitionen neben der Beschäftigung auch die Produktivität der Ökonomie beeinflussen. Es ist gerade diese Erkenntnis, die heute in Zeiten von niedrigen privaten und öffentlichen Investitionen wieder stärker gefragt ist.


Minsky, um auf das Zitat oben zurückzukommen, sieht als den Prozess der Bestimmung der Höhe der Investitionen bei Keynes als vierstufig an:


Geld und Verschuldung bestimmen einen Zins;


langfristige Erwartungen bestimmen die Renditen von Kapitalanlagen und heutigen Investitionen;

Renditen und Zinsen bestimmen die Preise der heutigen) Kapitalanlagen;


Investitionen werden durchgeführt bis der Angebotspreis der Investitionen den kapitalisierten Renditen entspricht.


Sofern wir dieser Interpretation von Minsky zustimmen ist die Bestimmung der Höhe der Investitionen also eine komplizierte Angelegenheit. Es ist nicht so einfach, wie es im IS/LM-Modell häufig dargestellt wird: dir Investition hängt nicht einfach negativ vom Zins ab! Hohe Zinsen = niedrige Investitionen, niedrige Zinsen = hohe Investitionen - das ist zu einfach gedacht. Die Erwartungen der Anleger an den Finanzmärkten bestimmen die langfristigen Renditen von Kapitalanlagen, heißt es. Das bedeutet, dass Vermögenspreise nicht um einen Fundamentalpreis schwanken, sondern das es laut Keynes Konventionen sind, nach denen sich die Anleger bei der Preisbestimmung richten. Ein Modell wie das Capital Asset Pricing Modell (CAPM), welches in den Finanzmärkten Verwendung findet, wäre eine solche Konvention. Das Problem, dass diese Modelle schon mehr als einmal versagt haben, scheint die Finanzmärkte nicht groß zu stören. Keynes hatte dies bereits verstanden, auch wenn damals andere Modelle genutzt wurden.


An dieser Stelle also sind die Erwartungen der Anleger ein wesentlicher Einflussfaktor in der Bestimmung der Höhe der Investitionen bei Keynes. Dieser führt sogar noch aus, dass es bei den Erwartungen nur darum geht, die Erwartung der anderen Investoren - des Marktes - vorherzusagen, nicht aber die Fundamentaldaten der Firmen. Ein guter Investor findet das neue Facebook oder Google vor den anderen - ob das Unternehmen langfristig erfolgreich wirtschaftet ist dabei irrelevant. Wichtig ist, dass "der Markt" für die Aktien viel Geld zahlt, damit unser Investor eine möglichst hohe Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis erzielt.


Um dann die Höhe der Investitionen zu bestimmen, werden Investitionen durchgeführt, bis deren Angebotspreise den erwarteten kapitalisierten Renditen entspricht. Beispiel: eine Maschine, die 100.000 € kostet, und über zehn Jahre bei einer erwarteten Inflationsrate von Null und einer Abnutzung von 10 Prozentpunkten pro Jahr eine Rendite von 11.000 € jährlich erwirtschaftet, wird einen Gewinn von genau 10.000 € erwirtschaften. Das sind 10%, und die Maschine wird mehrfach verkauft. Dabei steigt dann der Preis der Maschine und die erwartete Rendite fällt, da ja nun das Angebot an Gütern, die damit erzeugt werden, steigt. An irgendeinem Punkt wird es sich also nicht mehr lohnen, diese Maschine anzuschaffen.


Was allerdings auch eine Rolle spielt ist der erwartete Preis der Maschine. Wird erwartet, dass die Maschine nach ein paar Jahren mit Gewinn weiterverkauft werden kann, so steigt die erwartete Rendite. So kann auch eine Maschine, die keinen Gewinn erwirtschaftet, trotzdem profitabel sein: sie wird halt mit Profit weiterverkauft. In dem Boom vor der letzten Krise war es in der Schifffahrtsbranche so, dass die Schiffe nach Fertigstellung schon deutlich mehr wert waren als bei Auftragseingang. Dies lockt natürlich Spekulanten an bzw. verführt auch Reeder zur Spekulation. Das ganze endete in einer großen Krise, als die Exporte einbrachen und der Welthandel sich deutlich abschwächte. Die Investitionen in Schiffe fielen, in Deutschland hatten Banken mit vielen Krediten aus dem Bereich der Seefahrt große Probleme.


Das Werk von Keynes enthält wichtige theoretische Bausteine, die auch heute noch relevant sind. Gerade ein einer finanzialisierten Welt ohne starken Staat sind es die privaten Investitionen, die die Wirtschaft antreiben. Das Verständnis, warum die Investitionen gerade so niedrig ausfallen, ist für zukünftige Wirtschaftspolitik wohl unerläßlich. Diesen Punkt werde ich in einiger Zeit an dieser Stelle wieder aufgreifen.


(Quelle des Bildes: Wikipedia)

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