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Die Wirtschaftswissenschaft: Zurückgeworfen auf die Haferflockentheorie


1.


Dass Wirtschaftswissenschaft eine ernste Sache ist, weiß jeder, der Hans Werner Sinns Jansenisten-Bart kennt. Der Jansenismus war eine Strömung innerhalb des französischen Katholizismus, mit der u.a. das protestantische Konzept der göttlichen Gnadenwahl (Gottes Gnade kommt oder sie kommt nicht – glaub‘ nicht, dass du 'was daran ändern kannst) in den katholischen Glauben übernommen werden sollte. Wegen ihrer mit Calvin vergleichbaren strengen Glaubens- und Lebensauffassung wurden die Jansenisten als Sekte eingestuft und nach damaliger Sitte heftig verfolgt.


2.


Das zentrale Konzept der ernsten Wirtschaftswissenschaft lautet: Spare, um zu investieren oder, in der volkstümlichen Version der Politik: Wir müssen den Gürtel enger schnallen, damit es uns bessergeht.


Zentraler Gedanke wiederum dieses zur sparsamen gottgefälligen Haushaltsführung - auch des Staates – ermahnenden Konzepts ist die These, dass sich eine Volkswirtschaft zwischen Konsum und Investition entscheiden muss, weil das eine das andere ausschließt.


Die These geht auf ein Modell des englischen Wirtschaftswissenschaftlers David Ricardo (1772-1823) zurück, in dem die Volkswirtschaft nur ein einziges Getreideprodukt herstellt, z.B. Hafer.

Damit die Volkswirtschaft auch im nächsten Jahr erfolgreich sein kann, darf die Haferernte eines Jahres in diesem Jahr nie komplett verzehrt werden, sondern es müssen immer genug Haferkörner übrigbleiben, damit im nächsten Jahr wieder Hafer angebaut werden kann und die Arbeiter bis zur nächsten Ernte etwas zu essen haben.


Ausreichend Ackerland und Arbeitskraft vorausgesetzt gilt: Je weniger Haferflocken die Menschen im Jahr 1 essen, desto mehr gibt es im Jahr 2 und je weniger sie im Jahr 2 essen, desto mehr in Jahr 3 u.s.w.. Sparen ist Investition.


Weil Wirtschaftswissenschaftler auch sehr auf ihren Ruf bedacht sind, vertreten sie die Ricardo’sche Haferflockentheorie in der Öffentlichkeit nur selten.


Auch die These, dass die schwäbische Hausfrau ihr Leben lang spart, um dann kurz vor ihrem Tod ein Haus zu bauen, statt z.B. einen Bausparvertrag (1) abzuschließen, mit dem nicht ein Haus, sondern ein Hauskredit angespart wird, hört man nicht oft.


Der Trumpf der Wirtschaftswissenschaftler – unter ihnen auch Nobelpreisträger (2) wie Paul Krugman – liegt im Mechanismus der Kreditvergabe:


Natürlich finanziert die schwäbische Hausfrau ihr Haus mit einem Bausparkassen- oder Bankkredit, aber woher kommt denn das Geld für die Kredite? Doch nur daher, dass Millionen braver Sparer auf Konsum verzichten, damit die Banken genug Geld haben, um der schwäbischen Hausfrau einen Kredit zu ermöglichen. Haferflocken oder Geld: Beides dasselbe.


Wenn nun aber – wie Ihr längst wisst – die Bundesbank in ihrem Monatsbericht April 2017 eindeutig beschreibt, dass Banken keine Geldverleiher, sondern Geldhersteller sind – ihr sogenanntes Giralgeld entsteht schlicht durch die Eintragung von Ziffern in elektronisch geführte Bankkonten, also quasi „aus dem Nichts“ – löst sich der vermeintliche Trumpf der Wirtschaftswissenschaftler ebenfalls ins „Nichts“ auf.


Sparen, also Konsumverzicht, ist weder Voraussetzung für die Kreditvergabe, noch für Investitionen (Schaffung langlebiger Güter wie Wohnhäuser und Produktionsanlagen), sondern im Gegenteil Investition die Voraussetzung für das Sparen.


3.


Zieht man von der Summe aller Erlöse in der Volkswirtschaft im Wirtschaftsjahr, dem Bruttoinlandsprodukt, die Ausgaben für Konsum ab, lässt sich die verbleibende Differenz entweder als Einnahme aus Investitionstätigkeit (von der Entstehungsseite her gedacht) oder als Sparen (von der Verwendungsseite her gedacht) verstehen.


Y – C = I

Y – C = S


Sparen und Investition sind also 2 Seiten derselben Medaille und lauten auf den gleichen Betrag.

Damit überhaupt gespart werden kann, also nach Komplettabsatz (entstehungsseitig) und entsprechend Komplettverbrauch (verwendungsseitig) der Konsumgüter in der jeweiligen Periode noch Geld übrigbleibt, muss notwendig mehr Geld ausgegeben werden, als aktuell mit Konsumgütern umgesetzt wird. Nur wenn - in der Regel mit Hilfe von Krediten - mehr Geld pro Periode ausgegeben wird, als in der Konsumgüterproduktion umgesetzt wird, kann gespart, also aktuell verdientes Einkommen verteilt über die ganze Bevölkerung  nicht für Konsum verbraucht werden.


Volkswirtschaftlich gesehen finanzieren somit die Kreditnehmer – Bürger und Unternehmen - mit der Aufnahme von Krediten ihre eigene Rückzahlungsfähigkeit pro Periode, sofern die Verwendung der Kredite zu Investitionsausgaben- und Einnahmen führt, was bei Konsumentenkrediten allenfalls indirekt – über den möglicherweise angeregten Ausbau von Produktionskapazitäten, der Fall ist.


Versuche der Bürger, bei ausbleibender Investitionstätigkeit Teile ihres Einkommens zu sparen, führen hingegen zu weniger Absatz von Konsumgütern und damit tendenziell zu Produktionsabbau und Arbeitslosigkeit.


Deutschland übrigens verlagert das Problem schwacher öffentlicher Investitionen (auch die gibt es) bei gleichzeitig schwachen Unternehmensinvestitionen durch hohe Exportüberschüsse u.a. ins Euroausland und ärgert sich anschließend, dass die Europäische Zentralbank (EZB) verzweifelt versucht, durch niedrige Zinsen die Kreditaufnahme in diesen Ländern anzuregen.  


4. 


Die für Laien und Amateure ohnehin naheliegende Vermutung, dass Ricardos Haferflockentheorie mit der Realität moderner Geldwirtschaftssysteme nichts zu tun hat, ist somit durch die Bundesbank hinsichtlich des Geldes gewissermaßen amtlich bestätigt.


Aus Sicht ihrer Anhänger hat die Haferflockentheorie allerdings den Vorteil, dass Geld in ihr keine Rolle spielt, genauso wenig übrigens wie in den Wirtschaftswissenschaften überhaupt. In Wirklichkeit, so die bisherige Lehrbuchtheorie (s. auch Dirks Beitrag in der taz, link) leben wir in einer Tauschwirtschaft, die mit Hilfe des Geldes einfach nur praktischer abgewickelt werden kann.

Gut möglich also, dass die Haferflockentheorie unter Wirtschaftswissenschaftlern, gerade weil sie mit Geld nicht mehr argumentieren können, eine Renaissance erlebt.


5.


Zusammengefasst lässt sich nach der Stellungnahme der Bundesbank also sagen: Der außerordentliche materielle Siegeszug moderner Geldwirtschaftssysteme beruht genau darauf, dass der von Ricardo für eine ausschließliche Agrarproduktion beschriebene Mechanismus mit Hilfe von Geld und Kredit außer Kraft gesetzt wurde und wenn überhaupt dann einen sehr geringen Erklärungswert besitzt.


Dass in dieser Abkopplung von traditionellen Erfahrungen natürlicher Begrenztheit auch eine große Gefahr liegt, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben.


Tragisch ist, dass der überwiegende Teil der sogenannten Wirtschaftswissenschaft das Prinzip dieser Abkopplung und damit sein eigenes Fach nicht versteht.


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Anmerkungen:

(1) 2016 wurden in Deutschland laut Branchenverband Bausparverträge für eine Gesamtbausparsumme in Höhe von 90,2 Mrd. Euro abgeschlossen.

(2) Nobelpreis meint hier den gleichnamigen Preis der Schwedischen Zentralbank, nicht den von Alfred Nobel gestifteten.

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