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Christina Anselmann zu Staatsverschuldung


Christina Anselmann ist die Autorin des Buches "Auswege aus Staatsschuldenkrisen: Eine Untersuchung verschiedener Optionen anhand historischer Fallbeispiele", erschienen im Metropolis Verlag (2012). Die Pufendorf-Gesellschaft traf sie im Juni 2016 zum Interview in Karlsruhe, wo sie an der Hochschule als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften beschäftigt ist.


Sie haben ein Buch mit dem Titel "Auswege aus Staatsschuldenkrisen" geschrieben, in dem Sie eine Untersuchung verschiedener Optionen anhand historischer Fallbeispiele durchführen. Was hat Sie auf das Thema gebracht?


Das Buch ist eine geringfügig überarbeitete Version meiner Bachelorarbeit, die ich im Sommer 2011 im Rahmen meines Studiums an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft angefertigt habe. Das Thema Staatsverschuldung war damals aufgrund der Banken- und Staatsschuldenkrisen in einigen europäischen Ländern hoch aktuell und hat mich insbesondere aufgrund seiner praktischen Relevanz angesprochen. Zudem war mir bekannt, dass hohe Staatsschuldenstände historisch betrachtet keine Seltenheit sind. Mein Betreuer, Prof. Dr. Hagen Krämer, und ich kamen daher recht schnell zu dem Schluss, dass es spannend sein könnte, historische Perioden hoher Staatsschuldenstände in verschiedenen Ländern genauer unter die Lupe zu nehmen und zu analysieren, unter welchen Umständen es in der Vergangenheit gelang, hohe Staatsschuldenquoten zu reduzieren.

In Deutschland wird das Thema Staatsschulden sehr emotional betrachtet. Was sind die Ursachen für die deutsche Staatsverschuldung?


Die Ursachen von Staatsverschuldung können recht vielfältig sein. In Deutschland führte beispielsweise die Wiedervereinigung in den 1990er Jahren zu einem starken Zuwachs der Staatsschuldenquote. Auch im Zuge der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise ist die Staatsschuldenquote hierzulande natürlich angestiegen. All dies sind durchaus ökonomisch relevante Gründe für eine Kreditaufnahme der öffentlichen Haushalte. Ähnlich wie es für Unternehmen sinnvoll ist, teilweise auf Fremdkapital zurückzugreifen, gilt dies auch für den Staat. Eine Erhöhung der Staatsschulden lässt sich beispielsweise zum Zwecke der Konjunkturglättung in Abschwung- oder Depressionsphasen rechtfertigen. Öffentliche Kreditaufnahme kann auch vor dem Hintergrund einer bewussten intertemporalen Lastenverteilung sinnvoll sein, beispielsweise zur Finanzierung öffentlicher Investitionen, die mehreren Generationen zugutekommen. Ähnliches gilt auch für die Finanzierung bestimmter epochaler Ereignisse, wie beispielsweise die deutsche Wiedervereinigung.


In der Praxis lassen sich die Ursachen von Staatsverschuldung allerdings nicht immer ökonomisch einwandfrei rechtfertigen. Dies wird daran deutlich, dass in Deutschland und anderen Ländern die Staatsschuldenquoten sowohl in konjunkturellen Boom- als auch Abschwungphasen in den letzten Jahrzehnten nahezu kontinuierlich zunahmen. Trotz steigender Staatsschuldenquote ging gleichzeitig die öffentliche Investitionsquote zurück. Der politische Prozess dürfte damit ebenfalls eine Rolle spielen. Gemeint ist damit, dass Regierungen oftmals dazu neigen, öffentliche Ausgaben über Kredite finanzieren, um etwa beim Wähler unliebsame Steuererhöhungen zu vermeiden.

Glauben Sie, dass in Deutschland die Staatsverschuldung reduziert werden sollte? Was wären die Gründe?


In der aktuellen Situation, in der einige europäische Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten noch mit den Nachwirkungen der jüngsten Wirtschaftskrise zu kämpfen haben, halte ich es für falsch, die Staatsverschuldung in Deutschland zu reduzieren. Deutschland ist eher in der Pflicht, seine chronischen Leistungsbilanzüberschüsse abzubauen und die Binnennachfrage anzukurbeln. Der Staat kann hier seinen Teil leisten, indem er vermehrt Ausgaben tätigt und beispielsweise verstärkt in Infrastruktur und Bildung investiert. Aufgrund des niedrigen Zinsniveaus kann sich der deutsche Staat momentan zudem zu äußerst günstigen Bedingungen verschulden; die Nominalrendite zehnjähriger Bundesanleihen liegt aktuell unter null Prozent.


In der Eurozone hat die Troika die Staatsausgaben der Krisenländer zurecht gestutzt. Hat das die Staatsverschuldung dort gesenkt?


In Griechenland beispielsweise wurden in den letzten Jahren zahlreiche Reformen durchgeführt. Die Staatsausgaben wurden teilweise massiv gesenkt, Steuern erhöht, Renten gekürzt und auch die Lohnkosten sind zurückgegangen. Einige der ergriffenen Maßnahmen waren sicherlich richtig und notwendig. Trotz der Austeritätspolitik ist die Staatsverschuldung Griechenlands in Relation zum Bruttoinlandsprodukt jedoch von rund 172 Prozent im Jahr 2011 auf rund 177 Prozent im Jahr 2015 gestiegen. Man sieht hier, dass eine enorme Sparpolitik inmitten einer Rezession nicht zielführend ist.


Die Staatsverschuldung verändert sich, wenn der Staat nicht zufällig ein ausgeglichenes Budget ausweist. Da dieses wesentlich von den Steuereinnahmen abhängt, kann doch eine Regierung eigentlich das staatliche Budgetdefizit gar nicht kontrollieren, oder?


Das absolute Budgetdefizit hängt von den Ausgaben des Staates und seinen (Steuer-)einnahmen ab. Beide Größen kann der Staat zu einem gewissen Grad beeinflussen, wobei zwischen den Staatsausgaben und Steuereinnahmen sicherlich auch Interdependenzen bestehen. Wenn beispielsweise die öffentlichen Haushalte ihre Ausgaben ausweiten und sie dadurch die gesamtwirtschaftliche Produktion und damit die Steuerbasis erhöhen, kann dies wiederum zu einem höheren Steueraufkommen führen. Es ist daher auch nicht zwangsläufig gegeben, dass der Staat durch Ausgabenkürzungen und/oder Steuererhöhungen sein Budgetdefizit verringern kann. Kürzt der Staat etwa seine Investitionsausgaben, kann dies unter Umständen zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts und damit zu einem geringeren Steueraufkommen führen. Das tatsächliche Budgetdefizit muss dann nicht zwangsläufig zurückgehen und kann sogar ansteigen.


Vor der Eurokrise gab es schon andere Länder, die sich einer Fremdwährungszone anschlossen und diese dann verließen. In Ihrem Buch schreiben Sie auch über Argentinien. Was ist dort passiert?


Anfang der 1990er Jahre führte die argentinische Regierung zahlreiche Reformen durch, um der hohen Inflationsrate Herr zu werden. Unter anderem wurde ein Currency Board etabliert, das den Wechselkurs zwischen dem argentinischen Peso und dem US-Dollar fixierte. In den Folgejahren wurden in Argentinien recht hohe Wirtschaftswachstumsraten verzeichnet, was teilweise auch auf Kapitalimporte aus dem Ausland zurückzuführen war. Argentinien verschuldete sich damit gegenüber dem Ausland, wobei ein Großteil der Auslandsschulden tatsächlich dem Staatssektor zuzurechnen war. Die Kreditaufnahme erfolgte zudem fast ausschließlich in Fremdwährungen. Eine solche Abhängigkeit von ausländischem Fremdwährungskapital birgt bei vergleichsweise niedriger Exporttätigkeit enorme Risiken. Die Tragfähigkeit der argentinischen Auslandsschulden hing letztendlich stark vom Vertrauen der Investoren in die Zahlungsfähigkeit Argentiniens ab. Als Argentinien 1999 in eine Rezession geriet, begann dieses Vertrauen zu schwinden. Die Kapitalzuflüsse und das Wirtschaftswachstum gingen deutlich zurück, die Zinsaufschläge auf argentinische Staatsschuldtitel erhöhten sich erheblich. Im Laufe des Jahres 2001 musste Argentinien zweifach auf Kredite des Internationalen Währungsfonds zurückgreifen, bevor die Regierung wenige Monate später die Bedienung ihrer Inlands- und Auslandsschulden aussetzte. Im Januar 2002 wurde schließlich die Bindung des Pesos an den US-Dollar aufgehoben. Die öffentliche Schuldenstandsquote erhöhte sich bis Ende 2002 auf über 150 Prozent. In Argentinien kam es letztendlich zu einem partiellen Zahlungsausfall auf Inlands- und Auslandsstaatsschulden. Die Verhandlungen zwischen Gläubigern und dem argentinischen Staat zogen sich bekanntlich bis in das Jahr 2014 hin.

Kann man in Europa von Argentinien lernen?


Der Schuldenschnitt in Argentinien war sicherlich ein Befreiungsschlag für das Land. Die Staatsschuldenquote konnte in den Folgejahren deutlich reduziert werden, was u.a. auf recht hohe Wirtschaftswachstumsraten zurückzuführen war. Die Güter- und Dienstleistungsexporte stiegen ab 2002/2003 deutlich an, eine Entwicklung, die hauptsächlich auf der Loslösung des Pesos vom US-Dollar und der damit einhergegangenen Abwertung der argentinischen Währung beruhte. Das Beispiel Argentinien eignet sich für Europa jedoch nur bedingt. Ein (partieller) Schuldenschnitt behebt zunächst nur die Symptome, nicht die Ursachen der Probleme. In Argentinien konnte der wirtschaftliche Aufschwungab 2002/2003 u.a. nur einsetzen, da neben dem Schuldenschnitt die Abwertung des Pesos zu einer Zunahme der Exporttätigkeit führte. Eine nominale Abwertung der Währung eines einzelnen Landes ist innerhalb der Eurozone jedoch ausgeschlossen. Dies wäre wiederum nur möglich, wenn eine Schuldenrestrukturierung von einem Austritt aus dem gemeinsamen Währungsraum begleitet werden würde.


In den USA hat die Zentralbank große Mengen von Staatsanleihen gekauft. Dort zahlt jetzt das Finanzministerium Zinsen an die Zentralbank, die ja einen wesentlichen Anteil der Staatsanleihen hält, und diese überweist dann diesen Zentralbankgewinn wieder zurück an das Finanzministerium. Kann die US-Regierung Pleite gehen?


Ein Staatsbankrott der USA ist sehr unwahrscheinlich. Die Schulden des US-amerikanischen Staates sind überwiegend in US-Dollar denominiert, d.h. die öffentlichen Haushalte sind in ihrer eigenen Währung verschuldet. Eine Zahlungsunfähigkeit ist hier kaum zu befürchten, da letztendlich die US-Zentralbank zur Druckerpresse greifen und einschreiten könnte.


Wie beurteilen Sie die aktuelle japanische Wirtschaftspolitik? Dort kauft die Zentralbank ebenfalls im großen Stil Staatsanleihen an.


Japan hat seit Jahren mit sehr niedrigen Inflationsraten bzw. Deflation zu kämpfen. Zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums können direkte Anleihekäufe der Zentralbank dann sinnvoll sein. Die Erfahrungen in Japan zeigen zudem, dass eine Ausdehnung der Geldbasis nicht zwangsläufig zu Inflation führen muss. Auch angesichts der sehr hohen Staatsschuldenquote in Japan von aktuell über 245 Prozent halte ich die japanische Wirtschaftspolitik für relativ unproblematisch. Ein Großteil der japanischen Staatsschulden wird im Inland gehalten und ist in Yen denominiert. Darüber hinaus weist Japan seit Jahren tendenziell Leistungsbilanzüberschüsse auf und ist somit Nettogläubiger gegenüber dem Ausland.


Der Begriff der Staatsschuldenkrise wird außerhalb der Eurozone wenig benutzt. Länder wie die USA und Japan ließen große fiskalische Defizite zu, die dann auch zu einer wirtschaftlichen Erholung führten, sofern nicht Steuererhöhungen diese wieder zunichtemachten. Welche Themen sollten wir Ihrer Meinung nach in Europa diskutieren, um den Weg zurück zu Vollbeschäftigung und Wachstum zu finden?


Meiner Meinung nach sollte man in Europa dahingehend umdenken, dass eine simultane Austeritätspolitik aller Staaten nicht erfolgversprechend sein kann. Wenn alle versuchen, weniger auszugeben und mehr zu sparen, ist am Ende niemandem geholfen. Länder mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen, wie beispielsweise Deutschland, sollten nicht primär auf eine Reduzierung ihrer Staatsschulden bedacht sein, sondern vorwiegend auf eine Stärkung der Binnennachfrage abzielen. Die öffentlichen Haushalte in Deutschland können diesen Weg unterstützen, indem sie mehr Investitionen tätigen. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere die seit 2011 im Deutschen Grundgesetz verankerte Schuldenbremse äußerst kritisch zu beurteilen, da man sich hiermit selbst die Hände bindet und Wachstumspotential verschenkt. Neben der staatlichen Ausgabenpolitik halte ich auch das Thema der Einkommens- und Vermögensverteilung für relevant. Die Ungleichheit hat in den vergangenen Jahren in nahezu allen entwickelten Volkswirtschaften zugenommen. Durch entsprechende Umverteilungsmaßnahmen vom oberen zum unteren Einkommensrand könnte die Nachfrage im Inland erhöht und damit Vollbeschäftigung sowie mehr Wachstum gefördert werden.

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