Jeden Freitag veröffentlichen wir einen kurzen Beitrag von Randall Wray, der schrittweise eine umfassende Theorie aufbaut, wie Geld in souveränen Ländern "funktioniert". Die Beitragsserie entstammt der Einführung in die "Modern Monetary Theory" (MMT) von Randall Wray aus dem Jahre 2011 auf der Website „New Economic Perspectives“ und wurde von Michael Paetz und Robin Heber ins Deutsche übersetzt. Zudem wird Vorstandsmitglied Dirk Ehnts jeden Freitagabend von 19-20 Uhr auf Facebook Fragen zum Beitrag der Woche beantworten. Ihr könnt uns natürlich auch gerne Fragen über das Emailformular (unten auf dieser Seite) schicken.
Von L. Randall Wray
Ein Land kann sich dafür entscheiden, eine ausländische Währung für inländische Verwendungszwecke einzusetzen. Wie in einem früheren Beitrag erwähnt, akzeptierte sogar die US-Regierung bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Fremdwährungen als Zahlungsmittel, und es ist in vielen Ländern üblich, Fremdwährungen zumindest für einige Verwendungszwecke zu nutzen. Wir gehen nun einen Schritt weiter und betrachten eine Nation, die überhaupt keine eigene Währung ausgibt.
Nehmen wir an, dass irgendeine nationale Regierung den US-Dollar als offizielle Währung übernimmt – der Dollar wird von öffentlichen Stellen akzeptiert und deren Steuern und Preise lauten auf den Dollar. Banken vergeben Kredite und schaffen Einlagen in Dollar. Die Regierung gibt Dollar aus. Die Nation kann zwar keine US-Dollar herstellen (im Sinne von US-Münzen und -Banknoten), aber es ist klar, dass Haushalte, Firmen und die Regierung auf Dollar lautende Schuldscheine schaffen können.
Wie bereits erwähnt, sind diese Schuldscheine Teil der Schuldenpyramide, die den tatsächlichen US -Dollar „hebelt“ (Anm. der Red.: leveraging). Einige der Schuldscheine (z.B. Bankeinlagen) sind direkt in US-Dollar konvertierbar. Die umlaufende Währung ist der US-Dollar (US-Münzen und -Banknoten), aber viele oder die meisten Zahlungen werden elektronisch abgewickelt. Die Verrechnung von Schecks (Anm. der Red.: der Zahlungsausgleich zwischen den Banken) wird bei der Zentralbank des Landes erfolgen, indem die auf Dollar lautenden Zentralbankreserven umgeschichtet werden.
Beachten Sie jedoch, dass Bargeldabhebungen von Banken in Form von tatsächlichen US-Dollar getätigt werden und dass internationale Zahlungen in Dollar erfolgen (ein Leistungsbilanzdefizit erfordert die Überweisung von Dollar in das Ausland). Wie wird das gemacht? Die inländische Zentralbank wird über ein Dollar-Konto bei der US-Notenbank verfügen. Wenn die Zahlung an einen Ausländer erfolgt, wird das Konto der Zentralbank belastet, und das Konto einer anderen ausländischen Zentralbank wird gutgeschrieben (es sei denn, die Zahlung erfolgt in die USA).
Da diese Nation keine Dollar ausgibt, sondern Dollar verwendet, muss sie diese beschaffen, um internationale Zahlungen sowie Barabhebungen sicherzustellen, damit die Dollar-Währung in ihrer Volkswirtschaft zirkulieren kann. Sie erhält Dollar auf die gleiche Weise wie jede andere Nation Fremdwährungen erhält - denn der Dollar ist in Bezug auf die Möglichkeit, Bargeld und Dollarreserven zu erhalten, wirklich eine Fremdwährung. Daher kann sie Dollar durch Exporte, durch Kreditaufnahme, durch den Verkauf von Vermögenswerten (einschließlich ausländischer Direktinvestitionen) und durch Überweisungen erhalten.
Es liegt auf der Hand, dass die Einführung einer ausländischen Währung gleichbedeutend ist mit einem sehr strikten System fester Wechselkurse - ohne jeglichen Spielraum, da es keine Möglichkeit gibt, die Währung abzuwerten. Sie bietet den geringsten politischen Spielraum aller Wechselkursregime. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass es sich um eine schlechte Strategie handelt. Die Innenpolitik der jeweiligen Nation wird durch die Notwendigkeit, den "Fremdwährungs"-Dollar zu erhalten, aber eingeschränkt. Im Notfall könnte sie sich auf die Bereitschaft der USA verlassen, ausländische Hilfe (Überweisungen oder Darlehen in Dollar) zu gewähren. Eine Nation, die eine ausländische Währung einführt, gibt einen erheblichen Teil ihrer souveränen Macht ab.
Der Euro
Die Analyse in dieser Einführung hat sich bisher (mit Ausnahme des vorangegangenen Abschnitts) auf den üblichen Fall "Ein Land, eine Währung" bezogen. Bis zur Entwicklung der Europäischen Währungsunion (EWU) waren Beispiele von Ländern, die eine gemeinsame Währung haben, selten. Sie beschränkten sich in der Regel auf Fälle wie den Vatikan in Italien (obwohl nominell getrennt, befindet sich der Vatikan in Rom und verwendete die italienische Lira), oder auf ehemalige Kolonien oder Protektorate. Europa begann jedoch ein großes Experiment, bei dem die Länder, die der EWU beitraten, ihre eigene Währung zugunsten des Euro aufgaben. Die Geldpolitik wird im Wesentlichen von der Europäischen Zentralbank (EZB) bestimmt - das bedeutet, dass der Interbanken-Zinssatz für Übernacht-Kredite in der gesamten EWU derselbe ist. Die nationalen Zentralbanken sind nicht mehr unabhängig - sie sind vergleichbar mit den regionalen US-Notenbanken, die im Wesentlichen Tochtergesellschaften des Zentralbankpräsidiums der US-Notenbank sind, welches die Zinssätze festlegt (in Sitzungen des Offenmarktausschusses der US-Notenbank in Washington).
Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass die einzelnen nationalen Zentralbanken nach wie vor als „Clearingstellen“ zwischen den Banken sowie zwischen dem Bankensektor und der nationalen Regierung agieren. Das bedeutet, dass sie notwendigerweise an der Durchführung der inländischen Fiskalpolitik beteiligt sind. Doch während die Geldpolitik in der gesamten EWU in gewisser Weise in den Händen der EZB "vereinheitlicht" wurde, blieb die Fiskalpolitik in den Händen jeder einzelnen nationalen Regierung. Damit wurde die Fiskalpolitik in erheblichem Maße von der Währung getrennt.
Wir können uns die einzelnen EWU-Nationen als "Benutzer" und nicht als "Herausgeber" der Währung vorstellen; sie ähneln eher den US-Bundesstaaten (oder beispielsweise den kanadischen Provinzen). Sie besteuern und geben Euros aus, und sie geben auf Euro lautende Schulden aus, ähnlich wie US-Bundesstaaten in Dollar besteuern und ausgeben und Schulden in Dollar aufnehmen.
In den USA sind die Bundesstaaten verpflichtet, ausgeglichene Haushalte vorzulegen (48 Bundesstaaten haben sogar verfassungsrechtliche Vorschriften; dies bedeutet nicht, dass sie am Ende eines Finanzjahres einen ausgeglichenen Haushalt erreicht haben - die Einnahmen könnten niedriger ausfallen als erwartet und die Ausgaben könnten höher sein). Es bedeutet nicht, dass sie keine Kredite aufnehmen - wenn ein Bundesstaat langlebige öffentliche Infrastruktur finanziert, gibt er zum Beispiel auf Dollar lautende Anleihen aus. Er verwendet Steuereinnahmen zur Bedienung dieser Schulden. Jedes Jahr bezieht er den Schuldendienst in seine geplanten Ausgaben ein und versucht sicherzustellen, dass die Gesamteinnahmen alle laufenden Ausgaben einschließlich des Schuldendienstes decken.
Wenn ein US-Staat am Ende ein Haushaltsdefizit hat, besteht die Möglichkeit, dass die Gläubiger seine Schulden herabsetzen, was bedeutet, dass die Zinssätze steigen werden. Dies könnte einen Teufelskreis von Zinserhöhungen auslösen, die die Kosten des Schuldendienstes erhöhen, was zu höheren Defiziten und weiteren Herabstufungen führen könnte. Ein Schuldenausfall ist eine reale Möglichkeit - und es gibt Beispiele in den USA, in denen die Regierungen der Bundesstaaten und Kommunen entweder nahe an einen Zahlungsausfall waren oder diesen tatsächlich erleidet haben (Orange County - einer der reichsten Bezirke in den USA - war in der Tat zahlungsunfähig). Wirtschaftliche Abschwünge - wie die Krise, die 2007 begann - führen dazu, dass viele Staats- und Kommunalregierungen Schuldenprobleme bekommen, die zu einer Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit führen. Dies zwingt die Regierungen dann dazu, ihre Ausgaben zu kürzen und/oder die Steuern zu erhöhen.
Um die Möglichkeit derartiger Schuldenprobleme zwischen den EWU-Ländern zu verringern, stimmten alle Länder Beschränkungen hinsichtlich der Haushaltsdefizite und der Schuldenquote zu - die Richtlinien lauteten, dass die Länder keine nationalen Haushaltsdefizite von mehr als 3% des BIP aufweisen und keine Staatsschulden von mehr als 60% des BIP anhäufen dürfen. In Wirklichkeit verletzten praktisch alle Mitgliedsnationen beharrlich diese Kriterien.
Mit der globalen Finanzkrise, die 2007 begann, erlebten viele "Peripherie"-Nationen (insbesondere Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Italien) ernsthafte Schuldenprobleme und Herabstufungen. Die Märkte drückten ihre Zinssätze nach oben und verschärften damit die Probleme. Die EWU war gezwungen, zu intervenieren, und zwar in Form von Krediten der EZB (und sogar des IWF). Selbst die US-Notenbank lieh Dollar an viele europäische Zentralbanken. Nationen, die mit Schuldenproblemen konfrontiert waren, wurden gezwungen, Austeritätspakete zu verabschieden, mit denen Ausgaben gekürzt, Regierungsangestellte entlassen und Lohnkürzungen erzwungen sowie Steuern und Gebühren erhöht wurden.
Die Nationen wie Deutschland (oder auch Finnland), die sich diesen Problemen weitgehend entziehen konnten, richteten ihre Finger auf "verschwenderische" Nachbarn wie Griechenland, die angeblich eine verantwortungslose Finanzpolitik betrieben. Die Zins-"Spreads" – das ist die Differenz zwischen den von der deutschen Regierung für ihre Schulden gezahlten Zinsen und den von den schwächeren Ländern (ein guter Indikator für einen erwarteten Zahlungsausfall ist der Spread bei "Credit Default Swaps", die eine Form der Versicherung gegen Zahlungsausfälle darstellen) - stiegen in die Höhe, als die Märkte auf den Zahlungsausfall der Staatsschulden schwächerer Nationen "wetteten".
Um all dies in einen Zusammenhang zu bringen, ist es wichtig zu verstehen, dass die Euro-Nationen im Vergleich zu den in der Vergangenheit von souveränen Nationen erzielten Haushaltsdefiziten oder Schuldenquoten in Wirklichkeit keine unverschämt hohen Haushaltsdefizite oder Schuldenquoten hatten. In der Tat waren die Defizite und Schuldenquoten Japans damals sehr viel höher, und die US-Quoten waren ähnlich hoch wie die einiger Euro-Nationen, die sich heute in einer Schuldenkrise befinden. Länder, die ihre eigene variabel verzinsliche Währung ausgeben, sehen sich jedoch nicht mit einer so starken Marktreaktion konfrontiert - ihre Zinssätze für Staatsschulden werden nicht nach oben gezwungen (selbst wenn die Kreditrating-Agenturen ihre Schulden gelegentlich herabstufen, wie sie es zu Beginn des Jahrzehnts im Falle Japans taten und den USA damit drohten).
Was ist also der Unterschied zwischen, sagen wir, Japan und Griechenland? Warum behandeln die Märkte Japan anders?
Entscheidend ist, zu verstehen, dass Griechenland mit dem Beitritt zur EWU seine souveräne Währung aufgegeben und eine vom Prinzip her ausländische Währung eingeführt hat. Wenn Japan seine Schulden bedient, tut es dies durch "Tastendruck"-Buchungen in den Bilanzen, wie wir vor einigen Wochen besprochen haben. Die "Tastatureingaben" gehen der Zentralbank nie aus - sie kann bei Bedarf beliebig viele Yen-Buchungen vornehmen. Japan kann nie zu unfreiwilligen Zahlungsausfällen gezwungen werden.
Eine souveräne Regierung mit einer eigenen Währung kann es sich immer "leisten", alle Zahlungen zu tätigen, wenn sie fällig werden. Dies erfordert allerdings eine Zusammenarbeit zwischen dem Finanzministerium und der Zentralbank, um sicherzustellen, dass die Zinsen den Bankkonten gutgeschrieben werden, sowie die Bereitschaft der gewählten Vertreter, die Zinsausgaben im Haushalt zu veranschlagen. Die Märkte gehen dann davon aus, dass die souveräne Regierung ihren Verpflichtungen nachkommen wird.
Für die Mitglieder der EWU stellt sich die Situation anders dar. Erstens ist die Unabhängigkeit der EZB bzgl. der Regierungen der Mitgliedsländer viel größer als die der Fed bzgl. der US-Regierung: Die Fed ist ein "Geschöpf des Kongresses", das seinen Mandaten unterliegt; die EZB ist formell von jeder nationalen Regierung unabhängig. Die von der Fed beschlossenen operativen Verfahren stellen sicher, dass sie stets mit dem US-Finanzministerium zusammenarbeitet, um der Regierung zu ermöglichen, alle vom Kongress genehmigten Zahlungen zu leisten. Die Fed kauft routinemäßig nach Bedarf US-Staatsschulden auf, um die von den Mitgliedsbanken gewünschten Reserven bereitzustellen. Der EZB ist eine solche Zusammenarbeit mit einem Mitgliedsstaat untersagt.
Aus der Sicht der EWU wurde dies nicht als Fehler in der Vereinbarung empfunden, sondern eher als Konstruktionsmerkmal: Mit der Trennung sollte sichergestellt werden, dass kein Mitgliedstaat die EZB dazu nutzen kann, Haushaltsdefizite durch "Tastenanschläge" zu finanzieren. Man ging davon aus, dass die Marktdisziplin die Haushaltsdefizite im Zaum halten würde, wenn man die Mitgliedstaaten zwingen würde, auf den Kapitalmarkt zu gehen, um finanzielle Mittel zu erhalten. Eine Regierung, die versuchte, sich zu viel Geld zu leihen, würde mit steigenden Zinssätzen konfrontiert werden, was sie zwingen würde, ihre Ausgaben zu kürzen und die Steuern zu erhöhen. Daher sollte die Aufgabe der Währungssouveränität dazu dienen, die verschwenderischen Nationen zum Sparen zu zwingen.
Wir werden nun im Detail untersuchen, was im Euro-Raum schiefgelaufen ist. Zusammengefasst werden wir feststellen, dass die Kombination aus festen Wechselkursen und sektoralen Salden sowie ein wenig Datenmanipulation und eine globale Finanzkrise ein monströses Problem der Staatsverschuldung geschaffen haben, das sich an den Rändern der EWU ausbreitete und die gesamte Union in den Abgrund zu stürzen drohte.
Da jedes Land den Euro eingeführt hatte, wurden die Wechselkurse zwischen den Ländern der EWU festgelegt. Einige Länder (Griechenland, Italien) waren weniger erfolgreich bei der Eindämmung der Inflation (insbesondere bei den Löhnen) und stellten daher fest, dass sie innerhalb Europas zunehmend weniger wettbewerbsfähig waren. Infolgedessen wiesen sie Handelsdefizite auf, insbesondere gegenüber Deutschland.
Wie wir aus unserer Makrobuchhaltung wissen, muss ein Leistungsbilanzdefizit dem Defizit des Staatshaushalts und/oder dem Defizit des inländischen Privatsektors entsprechen. So könnte Deutschland (zu Recht) auf "verschwenderische" Ausgaben der griechischen Regierung und des griechischen Privatsektors verweisen, und Griechenland könnte (zu Recht) Deutschland für seine "merkantilistische" Handelspolitik beschuldigen, die sich auf Handelsbilanzüberschüsse stützte. Tatsächlich war Deutschland in der Lage, seine Haushaltsdefizite niedrig und seine Ersparnisse im privaten Sektor hoch zu halten, indem es sich auf seine Nachbarn verließ, um die deutsche Wirtschaft über den Exportsektor wachsen zu lassen. Aber das bedeutete wiederum, dass seine Nachbarn Schulden aufbauten - und schließlich reagierten die Märkte darauf mit Kreditrückstufungen.
Leider führten einige dieser Regierungen eine kreative Buchhaltung - sie verschleierten Schulden - und als dies entdeckt wurde, wurden die Vorwürfe gegen diese Länder noch schlimmer. Die globale Finanzkrise trug ebenfalls zu den Problemen bei, da die nervösen Märkte zu den sichersten Schulden liefen (US-Staatsanleihen und innerhalb Europas zu deutschen und französischen Schulden). Platzende Immobilienblasen schadeten sowohl den Finanzmärkten als auch den verschuldeten Haushalten. Bankprobleme innerhalb Europas erhöhten auch die Staatsverschuldung durch Rettungsaktionen (Irlands Staatsschuldenprobleme waren größtenteils auf Rettungsaktionen für in Schwierigkeiten geratene Finanzinstitute zurückzuführen). Die wirtschaftliche Verlangsamung verringerte auch die Steuereinnahmen des Staates und erhöhte die Transferausgaben (Anm. der Red.: vor allem Sozialleistungen). Um einen Zahlungsausfall abzuwenden, musste die EZB ihre Haltung aufgeben und Rettungspakete schnüren. Die Beamten begannen zu erkennen, dass eine vollständige Trennung zwischen einer Nation und ihrer Währung (d.h. die Trennung der Fiskalpolitik von einer souveränen Währung) keine gute Idee ist.
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