Jeden Freitag veröffentlichen wir einen kurzen Beitrag von Randall Wray, der schrittweise eine umfassende Theorie aufbaut, wie Geld in souveränen Ländern "funktioniert". Die Beitragsserie entstammt der Einführung in die "Modern Monetary Theory" (MMT) von Randall Wray aus dem Jahre 2011 auf der Website „New Economic Perspectives“ und wurde von Michael Paetz und Robin Heber ins Deutsche übersetzt. Zudem wird Vorstandsmitglied Dirk Ehnts jeden Freitagabend von 19-20 Uhr auf Facebook Fragen zum Beitrag der Woche beantworten. Ihr könnt uns natürlich auch gerne Fragen über das Emailformular (unten auf dieser Seite) schicken.
Von L. Randall Wray
Letzte Woche haben wir die Ursprünge von Münzen untersucht und argumentiert, dass dessen Prägung eine relativ junge Entwicklung ist. Von Anfang an besaßen Münzen aber einen Edelmetallgehalt. Aus MMT-Sicht ist das "Geld-Ding" einfach eine Wertmarke oder ein Schuldschein. Wenn das aber stimmt, warum werden Schulden dann auf Edelmetall „gestempelt“? Für tausende von Jahren wurden Schulden auf Ton, Holz oder Papier notiert. Woher kommt der Wandel zu Edelmetallen? Wir haben letzte Woche erklärt, dass die Ursprünge der Münzen im antiken Griechenland liegen und in den spezifischen historischen Kontext dieser Gesellschaft gestellt werden müssen. Die Verwendung von Edelmetall war kein Zufall, entsprang aber auch nicht der Logik der Warengeld-These. Es stimmt zwar, dass die Verwendung von Edelmetall wichtig und vielleicht sogar ganz entscheidend war, aber dies geschah aus anderen (gesellschaftlichen) Gründen und war mit dem Aufstieg der demokratischen Polis verbunden. Diese Woche untersuchen wir die Entwicklungen der Münzprägung von der Römerzeit bis zur Gegenwart in der westlichen Gesellschaft.
Auch römische Münzen enthielten Edelmetall. Es besteht jedoch kaum Zweifel daran, dass das römische Recht den so genannten "Nominalismus" eingeführt hat - der Nennwert der Münze wird von den Behörden bestimmt, nicht durch den Wert des in der Münze enthaltenen Metalls (als "Metallismus" bezeichnet). Das Münzsystem war gut reguliert, und obwohl sich der Edelmetallgehalt über die Münzprägungen hinweg änderte, gab es keine nennenswerten Probleme mit Wertverfall oder Inflation. Im römischen Recht konnte man einen Sack mit bestimmten Münzen („in sacculo“ = „in der Tasche“) hinterlegen und bei der Rückzahlung die gleichen Münzen zurückverlangen (Rechtfertigung). Wenn man jedoch eine Geldsumme (anstelle bestimmter Münzen) schuldete, musste man bei der Bezahlung jede Kombination von angebotenen Münzen akzeptieren, die offizielles "Geld des Reiches" waren – offiziell genehmigte Münzen, dessen Zahlung per Gericht erzwungen werden kann („condictio“ = „Rückforderung“).
Diese Praxis setzte sich in der frühen Neuzeit fort. Zum Zwecke der sicheren Geldaufbewahrung konnte man entweder Münzen in versiegelten Säcken (die bei Wiederabholung zurückgegeben wurden) oder eben lose Münzen (bei dessen Wiederabholung man alle legalen Münzen desselben Wertes akzeptieren musste) einlagern lassen. Daher setzte sich weitgehend der "Nominalismus" durch, auch wenn die Aufbewahrungspraxis bestimmter Münz-Säcke („in sacculo“) nach einer Form von "Metallismus" aussah.[*]
In Wirklichkeit hatte es aber mehr mit der Ansicht zu tun, dass Münzen ein "transportfähiges Gut" waren - etwas, für das der jeweilige Besitzer ein Eigentumsrecht beansprucht. Sobald jedoch die losen Münzen des Besitzers mit anderen Münzen vermischt wurden, gab es keine Chance der persönlichen Zuordnung mehr – und somit keine Möglichkeit die Eigentümerfrage zu klären. Der Gläubiger hatte lediglich einen Anspruch auf Auszahlung von gesetzlich offiziell festgelegtem (legalen) Geld - in England war dieses zum Beispiel die legalis moneta Angliae, die als eine Summe von "Sterlings" bestimmt wurde. Es gab keine Sterling-Münze (tatsächlich prägte England nicht einmal das Pfund, sein gesetzliches Zahlungsmittel). Stattdessen wurden Schulden durch die Bereitstellung der entsprechenden Summe von Münzen bezahlt, die vom König als rechtmäßiges Geld ernannt wurden – und ausländische Münzen enthalten konnten – zu dem vom König diktierten nominalen Wert.
Den Behörden, welche die Münzen ausstellten, stand es frei, den Metallgehalt bei jeder Münze zu ändern. Die Strafen für die Weigerung, eine hoheitliche Münze als Zahlungsmittel zu dem vom Herrscher angegebenen Wert zu akzeptieren, waren streng (oft die Todesstrafe). Dennoch gibt es das historische Paradoxon, dass, wenn der König mit Münzen bezahlt wurde (bei Gebühren, Geldstrafen und Steuern), er sie wiegen ließ – und die Münzen, die geringes Gewicht hatten, ablehnte oder nur zu einem niedrigeren Wert akzeptierte. Wenn Münzen nominell bewertet wurden, warum machte man sich dann die Mühe sie zu wiegen? Warum maß der Herausgeber der Währung – der König – mit zweierlei Maß, einem nominalistischen und einem metallistischen?
Im privaten Umlauf bevorzugten die Verkäufer ebenfalls "schwere" Münzen – solche, die mehr wogen oder die eine höhere Feinheit besaßen (mehr Edelmetallgehalt). Niemand wollte sich in der Situation wiederfinden, Zahlungen an die Krone mit Münzen von geringem Gewicht leisten zu müssen. Daher herrschte das "Greshamsche Gesetz": Jeder wollte mit "leichten" Münzen bezahlen, aber mit "schweren“ Münzen bezahlt werden. Es gab also offensichtlich Skepsis über den Metallgehalt von Münzen. Ziemlich genaue (und ziemlich winzige) Waagen wurden hergestellt und verkauft, um Münzen einzeln zu wiegen. Dies lässt moderne Historiker (und Ökonomen) glauben, dass der "Metallismus" herrschte: der Wert der Münzen wird durch dessen Metallgehalt bestimmt.
Und doch sehen wir in den Gerichtsurteilen Hinweise darauf, dass das Gesetz eine nominelle Auslegung begünstigte: Jede legale Münze musste akzeptiert werden. Und es gab Könige, die lange Gefängnisstrafen verhängten oder den Tod befohlen, falls dies nicht geschah (die Strafe sollte in der Regel "nach Belieben des Königs" verbüßt werden - eine nette Art, es auszudrücken! Man kann sich nur vorstellen, wie es dem König gefiel, diejenigen, die seine Münzen ablehnten, auf unbestimmte Zeit festzuhalten). Es scheint alles so verwirrend - war Geld nun nomineller oder metallener Natur?
Das letzte Puzzleteil ist das folgende: Bis zur Erfindung moderner Prägungstechniken (einschließlich Fräsen und Stanzen) war es relativ einfach, Münzen zu "scheren" – einen Teil des Metalls vom Rand zu schneiden. Sie konnten auch gerieben werden, um Körner des Metalls zu sammeln. (Selbst normaler Verschleiß reduzierte den Metallgehalt rapide; insbesondere Goldmünzen waren weich. Aus diesem Grund waren sie als "effizientes Tauschmittel" besonders ungeeignet – ein weiterer Grund, an der Metalistengeschichte zu zweifeln.)
Aus diesem Grund ließ der König sie wiegen. Er testete, ob sie „geschert“ wurden. (Wie Sie sich vorstellen können, war die Strafe für ein solches Vergehen schwer, einschließlich der Todesstrafe.) Andernfalls wäre er das Opfer des Greshamschen Gesetz; jedes Mal, wenn er die Münzen nachprägte, hätte er weniger Edelmetall mit dem er arbeiten könnte. Aber weil er die Münzen wog, mussten alle anderen auch vermeiden, auf der falschen Seite des Greshamschen Gesetz zu sein. Wir stellen demnach fest, dass der Einsatz von Edelmetallen (die weit von einem "effizienten“ Tauschmittel entfernt sind) eine destruktive Dynamik aufweist, die sich erst mit dem Übergang zum Papiergeld endgültig beseitigt wurde! (Eigentlich ist nicht einmal Papiergeld ideal; vielleicht haben einige Leser aufgrund der Dynamik des Greshamschen-Gesetzes mal erlebt, das älteres Papiergeld nicht akzeptiert wird – so wie es mir in Italien passiert ist, bevor dort der Euro eingeführt wurde. Gott sei Dank gibt es heute Computer, Tastaturen und LEDs.)
Könige verschlimmerten diese Dynamik manchmal – indem sie ihr eigenes Versprechen, die älteren Münzen zu zuvor vereinbarten Kursen zu akzeptieren, zurückwiesen. Dies war die Praxis, den Wert der Münzen "niederzuschreien". Bis vor kurzem wurde der Nennwert nicht auf die Münzen geprägt– sie waren wert, was der König sagte, dass sie in seinen "Zahlungsstellen" wert waren. Um die Steuerlast effektiv zu verdoppeln, konnte er ankündigen, dass alle ausstehenden Münzen nur noch halb so viel wert waren wie zuvor. Da dies das Vorrecht des Herrschers war, waren die Besitzer von Münzen mit einer gewissen Unsicherheit über dessen Nennwert konfrontiert. Dies war ein weiterer Grund, nur schwere Münzen zu akzeptieren – egal wie sehr der König die Münzen niederschrie, ihr Mindestwert würde immer dem Wert des Metallgehalts entsprechen. Normalerweise würden die Münzen jedoch zu dem höheren Nennwert zirkulieren, der vom Souverän festgelegt und vom Gericht durchgesetzt wird - mit der Androhung strenger Strafen für die Weigerung, die Münzen zu diesem Wert zu akzeptieren.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt der Geschichte. Während der Entwicklung von den königlichen Vorläufers zu unserem modernen Staat, gab es auch die miteinander verbundenen Phänomene des Merkantilismus und der ausländischen Kriege. Innerhalb eines Imperiums oder Staates sind die Schuldversprechen des Souveräns ausreichende "Gelddinge": Solange der Souverän sie bei Bezahlungen annimmt, werden sie auch seine Untertanen oder Bürger akzeptieren. Jede „Wertmarke“ kann hierzu genutzt werden – aus Metall, Papier oder elektronischen Einträgen. Aber außerhalb der Grenzen des Hoheitsgebiets werden die Wertmarken möglicherweise gar nicht akzeptiert. In mancher Hinsicht ähneln der internationale Handel sowie internationale Zahlungen eher einem Tauschhandel, es sei denn, es gibt einen allgemein akzeptierten "Wertmarken" (wie heute der US-Dollar).
Sagen wir es so: Warum sollte irgendjemand in Frankreich die Schuldscheine des Erzfeindes Frankreichs, nämlich die des Königs von England, haben wollen? Außerhalb Englands besitzen die Münzen des Königs nur den Wert des darin enthaltenen Edelmetalls. Metallismus als Theorie trifft insofern zu, als es eine Art Mindestwert eines königlichen Schuldscheins beschreibt. Im schlimmsten Fall kann dieser nicht weit unter den Wert des Goldgehalts fallen, da er zu Goldbarren geschmolzen werden kann.
Und das führt uns zur Politik des Merkantilismus und auch zur Eroberung der Neuen Welt. Warum sollte eine Nation ihre Produktion exportieren wollen, nur um im Gegenzug die Kassen des Königs mit Gold und Silber füllen zu können? Und warum der Ansturm auf die Neue Welt für Gold und Silber? Gold und Silber wurde benötigt, um ausländische Kriege führen zu können. Denn dies erforderte die Anstellung von Söldnerarmeen und den Kauf von Vorräten, um diese Armeen in fremden Ländern zu versorgen. (England hatte keine riesigen Flugzeuge, um Truppen und Nachschub nach Frankreich zu bringen – stattdessen heuerten sie Festlandtruppen an und kauften die Vorräte von den lokalen Landwirten.) Es gab einen schönen Teufelskreis in all dem: die Kriege wurden sowohl von als auch um Gold und Silber geführt!
Und es sorgte für ein monetäres Durcheinander im Heimatland. Dem Souverän fehlte es immer an Gold und Silber, sodass er einen starken Anreiz hatte, die Währung zu entwerten (um an mehr Metall zu gelangen, um Kriege zu finanzieren), während er Zahlungen an sich in den schwersten Münzen bevorzugte. Die Bevölkerung hatte einen starken Anreiz, die leichten Münzen bei Zahlungsvorgängen nicht anzunehmen, während sie die schweren Münzen hortete. Oder Verkäufer konnten versuchen, die Münzen zu zwei verschiedenen Preisen zu handeln – einen niedrigeren für schwere Münzen und einen hohen für leichte Münzen. Aber dann drohte wiederum der Galgen des Königs.
Das Chaos wurde erst sehr allmählich mit dem Aufstieg des modernen Nationalstaates, einer klaren Bekennung zum Nominalismus in der Münzprägung und – schließlich – mit dem endgültigen Stopp des lang praktizierten Phänomens der Verwendung von Edelmetall in Münzen gelöst.
Und damit bekamen wir endlich unsere "effizienten Tauschmittel": elektronisch erfasste Schuldscheine. Edelmetallmünzen waren immer Aufzeichnungen von Schuldscheinen, aber sie waren unvollkommen. Und sie haben Historiker und Ökonomen ganz schön getäuscht!
Zugegebenermaßen habe ich noch nicht ausführlich genug argumentiert, warum Geld ein Schuldschein sein muss und eben keine Ware. Dafür müssen wir uns zunächst noch ein paar weitere Grundlagen erarbeiten.
Verweise:
* Ich danke Chris Desan, David Fox und anderen Teilnehmern eines kürzlich besuchten Seminars an der Universität Cambridge für die Diskussion, auf die ich mich hier stütze.
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