Jeden Freitag veröffentlichen wir einen kurzen Beitrag von Randall Wray, der schrittweise eine umfassende Theorie aufbaut, wie Geld in souveränen Ländern "funktioniert". Die Beitragsserie entstammt der Einführung in die "Modern Monetary Theory" (MMT) von Randall Wray aus dem Jahre 2011 auf der Website „New Economic Perspectives“ und wurde von Michael Paetz und Robin Heber ins Deutsche übersetzt. Zudem wird Vorstandsmitglied Dirk Ehnts jeden Freitagabend von 19-20 Uhr auf Facebook Fragen zum Beitrag der Woche beantworten. Ihr könnt uns natürlich auch gerne Fragen über das Emailformular (unten auf dieser Seite) schicken.
Von L. Randall Wray
Dies wird der definitiv letzte Teil der Auseinandersetzung mit der Österreichischen Schule sein. Nächste Woche wenden wir uns der Jobgarantie bzw. dem Arbeitgeber der letzten Instanz zu. Die Antwort auf beide im Titel gestellten Fragen ist, meiner Meinung nach, ein dickes, fettes Nein.
Ich werde nicht allzu tief in methodologische Debatten einsteigen. Erstens bin ich kein Methodiker. Zweitens glaube ich nicht, dass viele Leser solchen Debatten interessiert sind. Und drittens ist es nicht wirklich nötig.
Es ist nicht möglich, zu beobachten und zu beschreiben, ohne eine zugrundeliegende Theorie und Ideologie. Schauen Sie sich nur einmal die Fragen und Kommentare an, die ich erhalte. Sie sind ausnahmslos wertbeladen. Warum sollte ich mich auf Geld konzentrieren? Genauer gesagt auf eine ganz besondere Art von Geld - staatliches Geld? Warum schreibe ich nicht mehr über privat geschaffenes Geld - wie Bankengeld? Was zum Teufel ist Geld denn überhaupt? Muss es etwas sein, das ich anfassen kann? Benutzen? Und wie? Viele Kommentatoren wollen das Geld ganz auslassen und sich den "echten Dingen" zuwenden - den Sachwerten, die unseren physischen Reichtum ausmachen. Und warum ignoriert MMT (meistens) den Hausmann, der das Geschirr abwäscht?
Ich muss all diese Entscheidungen treffen und ich muss eine Ansicht darüber haben, was wichtig genug ist, um zu versuchen, es zu verstehen. Werfen Sie einen Blick darauf und ich denke, Sie werden zustimmen, dass jede Frage oder jeder Kommentar, der jemals gemacht wurde, irgendeinen zugrundeliegenden "Zweck" hatte.
Wissenschaft ist nicht wertfrei. Sie kann es nicht sein. Wissenschaft - einschließlich der Volkswirtschaftslehre - ist von Natur aus progressiv. Warum glauben Sie, dass Anhänger des politisch rechten Spektrums die Wissenschaft in den Bereichen Evolution, Ökologie und reproduktive Gesundheit der Frau ablehnen? Weil sie sehr wohl verstehen, dass Wissenschaft ein fortschrittliches Unterfangen ist. Und das schließt die Volkswirtschaftslehre ein, die hinter jeder Politikmaßnahme steht. Also müssen sie die Wissenschaft leugnen, um den Fortschritt zu stoppen.
Sie alle verstehen inzwischen, dass einer souveränen Regierung das eigene Geld nicht ausgehen kann; die Bezahlbarkeit ist nicht das Problem. Das ist ein großer wissenschaftlicher Fortschritt; es ist von Natur aus fortschrittlich. Wir haben die "Magie" oder den "Aberglauben", auf den sich Samuelson bezog, hinter uns gelassen. Es geht nur noch um Tastenanschläge und wir können davon so viele haben, wie wir wollen. Wir können die Regierung nutzen, um dem Gemeinwohl zu dienen, und das ist sicherlich ein progressiver Fortschritt.
Die Debatte wendet sich dann der Frage zu, "was die Regierung tun sollte". Und zugegeben, es bleiben immer noch vielen Fragen offen, "was die Regierung tun kann". Denn es gibt Dinge, die fortschrittlich wären (z.B. die Beendigung von Rassismus und Sexismus), die vielleicht nicht durch die Regierung erreicht werden können, zumindest noch nicht. Zudem können progressive Ziele zueinander im Widerspruch stehen. Deshalb denke ich, dass es sehr nützlich ist, das Gemeinwohl und die Menschenrechte als "erstrebenswert" zu betrachten - es ist einfacher, einen Fortschritt zu definieren und darauf hinzuarbeiten, als ein Endziel zu definieren und zu erreichen. Wir sind stets bestrebt und erreichen nie den "Gipfel". Das ist in Ordnung, denke ich. Welchen Fortschritt wir auch immer erreichen, er wird nie genug sein - Errungenschaften veranlassen uns, nach mehr zu streben.
Nochmals, ich will nicht philosophisch werden, aber wann immer ich den Ruf nach einer wertfreien Ökonomie höre, vermute ich sofort eine Falle. Nach meiner Erfahrung liegt die Korrelation bei 100 %. Diejenigen, die Ökonomie als reine Beschreibung sehen, verbergen lediglich ihre Ideologie und ihre politischen Ziele. Und sie sind fast immer anti-progressiv. Ich vermute, sie fürchten, dass sie Unterstützung verlieren würden, wenn sie ihre Ziele auf den Tisch legen würden. Daher weigern sie sich, ihre wahre Mission zuzugeben.
Ich möchte jedoch eines klarstellen. Es gibt einen riesigen Raum für Meinungsverschiedenheiten über den legitimen Umfang des Gemeinwohls. Und selbst, wenn wir uns alle über den Umfang des Gemeinwohls einig wären, gibt es einen noch größeren Raum für Meinungsverschiedenheiten über den besten Weg, diesen Umfang zu erreichen. Wie ich schon sagte, gibt es Konflikte und Ungewissheiten und keinen endgültigen Endpunkt. All das macht diese Diskussionen zu Streitgesprächen. Aber wir können nicht einmal wirklich darüber diskutieren, wenn wir Gegner haben, die ihre Ansichten, Hoffnungen und Ziele nicht darlegen wollen.
MMT ist also von Natur aus progressiv. Wir haben uns entschieden, uns auf einen eher kleinen, aber unserer Meinung nach wichtigen Teil des menschlichen Verhaltens zu konzentrieren - das, was wir den "monetären" Teil der Wirtschaft nennen könnten. Nun, ich mache das noch spezifischer - der Teil der "monetären Produktion", der von Marx, Veblen und Keynes für die Analyse identifiziert wurde. Und die meiste Zeit konzentrieren wir uns auf die Neuzeit (moderne monetäre Produktion) - obwohl es für unser Verständnis dessen, "wo wir sind", nützlich ist, einen Blick darauf zu werfen, "woher wir kommen". Dies sind große Themen und es gibt viele Unterthemen innerhalb dieses Rahmens.
Man könnte die Analyse zum Beispiel auf eine Beschreibung eines Offenmarktkaufs von 10-jährigen Staatsanleihen am 6. März beschränken. Aber warum haben Sie dieses Thema und dieses Datum gewählt? Welchen Punkt wollten Sie damit erreichen? Wenn das alles ist, was Sie haben, wen interessiert es dann? Wahrscheinlicher ist, dass die Beobachtung und Beschreibung dazu dient, einen Punkt zu demonstrieren und die Politik zu kommentieren. War der Kauf eine gute Idee? Welche Auswirkungen hatte er? Hätte die Fed etwas Anderes tun sollen? Was wollte die Fed damit erreichen? War der erklärte Zweck anders als das offensichtliche Ziel? Wie passt diese Aktion in die Strategie der Fed? Ohne diese und andere Fragen zu untersuchen, wäre die Beschreibung nicht hilfreich.
Aber selbst die Entscheidung, eine solche Beschreibung zu liefern, ist höchstwahrscheinlich "zielgerichtet", selbst wenn der Untersuchende kein Interesse an solchen Fragen hat - zum Beispiel, um zu vernebeln und abzulenken - eine häufig verwendete Taktik.
Stephanie Kelton hat die folgende Analogie aufgestellt. Fast jeder ist mit der Arbeit von Milton Friedman vertraut. Er war ein "Positivist", der oft als einer identifiziert wird, der die "normative" Ökonomie verabscheut. Ich möchte nicht darüber diskutieren, ob das eine faire Beschreibung von Friedmans tatsächlichen Ansichten ist. Stattdessen möchte ich mir den Monetarismus selbst ansehen. Der "deskriptive" Teil behauptete, dass es eine Korrelation zwischen Geldmengenwachstum und dem Wachstum des nominalen BIPs gäbe, und schlussfolgerte daraus: "Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen". Aber wie wir wissen, beinhaltet die Messung des BIPs viele Entscheidungen und dahinter stehen Theorien und Ideologien (warum haben wir das Spülen des eigenen Geschirrs aus der Messung herausgelassen, aber die Dienstleistungen zum Erhalt des Wohnens im eigenen Haus mit einbezogen?) Ebenso, was ist Geld? Und was ist Inflation? Als ob das nicht schon problematisch genug wäre, bezeichnen Monetaristen Inflation als "schlecht" und schlagen eine Politik vor, die angeblich Inflation verhindern soll (Kontrolle des Geldmengenwachstums - was auch immer das ein soll). Nehmen wir an, dass die Korrelationen auf eine Kausalität hindeuten (anfechtbar) und dass die Zentralbank die Geldmenge kontrollieren kann (anfechtbar) und dass Inflation etwas Schlechtes ist (anfechtbar) und dass die Vorteile einer Senkung der Inflation durch eine solche Politik die Kosten überwiegen (anfechtbar). Ich denke, jetzt verstehen Sie, worauf ich hinauswill.
Und Monetarismus ohne Inflationsbekämpfung und Geldwachstumsregeln wäre einfach kein Monetarismus. Es gibt andere Ansätze, die zustimmen, dass Inflation schlecht ist und die Zentralbank sie bekämpfen sollte und kann - aber sie sind nicht monetaristisch. Man braucht die entsprechende Ideologie, die Theorie und die politischen Empfehlungen, um den Monetarismus zu beschreiben.
Daher denke ich, dass die Vorstellung, dass wir eine Gruppe von MMTlern haben können, die es vermeiden, über Theorie, Ideologie und Politik zu diskutieren, bestenfalls naiv ist, aber viel wahrscheinlicher sogar darauf abzielt, die Ausrichtung der Teilnehmer zu verbergen.
Hier ist nun der größere Punkt, den ich ansprechen möchte. Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig Vertrauen Vertreter der österreichischen Schule (und Konservative im Allgemeinen) in unser kapitalistisches System haben. Aus ihrer Sicht ist es ein sehr zerbrechliches System, leicht zu stören und vielleicht sogar zu zerstören. Ein bisschen Regulierung durch die Regierung überwindet die unternehmerische Initiative. Ein bisschen Steuer für die Reichen und das Profitmotiv ist plötzlich ausgebremst. Gib jemandem, der hungert, Almosen und die gesamte Belegschaft wird einfach aufhören zu arbeiten, um lieber Schlange zu stehen. Es ist ein so schwaches System, dass wir extrem vorsichtig sein müssen, zur Seite zu treten, um die arme kleine unsichtbare Hand arbeiten zu lassen. Selbst die kleinste Behinderung wäre katastrophal.
Ich glaube, sie haben viel zu viel von den Weltuntergangsschriften von Schumpeters „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ gelesen - wo er sich über die Zukunft des Kapitalismus sorgte - oder vielleicht Marx' Theorie der fallenden Profitrate.
Ich halte es da eher mit Marx und Engels vom Kommunistischen Manifest, die sich über die Errungenschaften des kapitalistischen Systems wunderten:
Aber immer wuchsen die Märkte, immer stieg der Bedarf. Auch die Manufaktur reichte nicht mehr aus. Da revolutionierte der Dampf und die Maschinerie die industrielle Produktion. An die Stelle der Manufaktur trat die moderne große Industrie, an die Stelle des industriellen Mittelstandes traten die industriellen Millionäre, die Chefs ganzer industrieller Armeen, die modernen Bourgeois.
Die große Industrie hat den Weltmarkt hergestellt, den die Entdeckung Amerikas vorbereitete. Der Weltmarkt hat dem Handel, der Schiffahrt, den Landkommunikationen eine unermeßliche Entwicklung gegeben. Diese hat wieder auf die Ausdehnung der Industrie zurückgewirkt, und in demselben Maße, worin Industrie, Handel, Schiffahrt, Eisenbahnen sich ausdehnten, in demselben Maße entwickelte sich die Bourgeoisie, vermehrte sie ihre Kapitalien, drängte sie alle vom Mittelalter her überlieferten Klassen in den Hintergrund.
(…) Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.
Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt. Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose „bare Zahlung". Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterliehen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.
Die Bourgeoisie hat enthüllt, wie die brutale Kraftäußerung, die die Reaktion so sehr am Mittelalter bewundert, in der trägsten Bärenhäuterei ihre passende Ergänzung fand. Erst sie hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge.
Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.
Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.
Die Bourgeoisie hat das Land der Herrschaft der Stadt unterworfen. Sie hat enorme Städte geschaffen, sie hat die Zahl der städtischen Bevölkerung gegenüber der ländlichen in hohem Grade vermehrt und so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen. Wie sie das Land von der Stadt, hat sie die barbarischen und halbbarbarischen Länder von den zivilisierten, die Bauernvölker von den Bourgeoisvölkern, den Orient vom Okzident abhängig gemacht.
Die Bourgeoisie hebt mehr und mehr die Zersplitterung der Produktionsmittel, des Besitzes und der Bevölkerung auf. Sie hat die Bevölkerung agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen konzentriert. Die notwendige Folge hiervon war die politische Zentralisation. Unabhängige, fast nur verbündete Provinzen mit verschiedenen Interessen, Gesetzen, Regierungen und Zöllen wurden zusammengedrängt in eine Nation, eine Regierung, ein Gesetz, ein nationales Klasseninteresse, eine Douanenlinie-
Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschifffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen - welches frühere Jahrhundert ahnte, daß solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten.
Wir haben also gesehn: Die Produktions- und Verkehrsmittel, auf deren Grundlage sich die Bourgeoisie heranbildete, wurden in der feudalen Gesellschaft erzeugt. Auf einer gewissen Stufe der Entwicklung dieser Produktions- und Verkehrsmittel entsprachen die Verhältnisse, worin die feudale Gesellschaft produzierte und austauschte, die feudale Organisation der Agrikultur und Manufaktur, mit einem Wort die feudalen Eigentumsverhältnisse den schon entwickelten Produktivkräften nicht mehr. Sie hemmten die Produktion, statt sie zu fördern. Sie verwandelten sich in ebenso viele Fesseln. Sie mußten gesprengt werden, sie wurden gesprengt.“
Ich erkenne in dieser marxschen Ode an die Macht des Unternehmers überhaupt nicht die österreichische Version des armen kleinen ohnmächtigen Kapitalisten.
Glauben Sie wirklich, dass ein Timmy Geithner als Regulierer eine Chance gegen einen marxistischen Kapitalisten hätte? Einem wahren Revolutionär, der alle bisherigen Kräfte und Fesseln "sprengen" kann? Der Kapitalist, der in den ersten hundert Jahren des Kapitalismus "gewaltigere und kolossalere Produktivkräfte geschaffen hat als alle vorangegangenen Generationen zusammen" - die letzten Millionen Jahre und mehr der menschlichen Existenz? Nach Marx' Ansicht hat der Kapitalist die moderne Regierung geschaffen, um ihr zu dienen. Und sich selbst überlassen, verschlingt der Kapitalismus alles, was sich ihm in den Weg stellt, und isst seine Kinder zum Frühstück. In Wahrheit ist er die mächtigste Bestie, die der Mensch je geschaffen hat.
Und das wurde vor 160 Jahren geschrieben! Da hatten sie ja noch nichts gesehen! Der ganze verflixte Globus war nicht genug. Jetzt will man den Mond kolonisieren, wenn man nur die geringste Chance dazu bekommt!
OK, bevor sich die Kritiker zu Anschuldigungen hinreißen lassen, dass MMT Marxismus sei, geht es mir hier darum, die Potenz des Kapitalismus zu betonen. Es ist ein robustes System, wenn auch eines, das zu Nachfrageschwächen und zu periodischen Finanzkrisen neigt. Aber ich halte die Idee, dass ein bisschen Regulierung und Steuern den Kapitalismus zerstören werden, für abwegig und unnötig pessimistisch.
Nun, warum ist es dann eine konventionelle Weisheit, dass der Kapitalismus zerbrechlich ist?
Erstens ist es offensichtlich, dass auf der Ebene des Unternehmens jeder darum kämpft, einen Vorteil zu erlangen. Staatliche Subventionen und Steuerbefreiungen helfen dabei, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Es ist wirklich praktisch, wenn die lokale Regierung einen Teil der Kapital- und Arbeitskosten übernimmt. Es ist von Vorteil, wenn der Kongress "Schweinefleisch" verteilt, um lokale Hersteller zu begünstigen. Und es ist von Verteil, wenn die Regulierungsbehörden öfter mal wegschauen.
Zweitens, auch auf der Ebene von Einzelpersonen, sind viele Unternehmer natürlich grausam. Sie mögen es, ihre Arbeiter leiden zu sehen, und sie sind bereit, niedrigere Profite in Kauf zu nehmen, wenn es nötig ist, um das Vergnügen zu erhalten. Ich kann mich noch daran erinnern, wie kalifornische Arbeitgeber ihren Landarbeitern die Verwendung von langstieligen Hacken verboten - und die Arbeiter zwangen, sich zu bücken, um mit kurzen Hacken arbeiten zu können. Viele Untersuchungen zeigten, dass die Produktivität mit den langen Hacken höher war, aber den Arbeitgebern war das gleichgültig. Sie rechtfertigten die kurzen Hacken mit dem Argument, dass die Wanderarbeiter gerne nah am Boden arbeiten.
Und so protestieren sie gewaltig, wenn die Regierung versucht, die Größe der Rute zu regulieren, mit der sie ihre Sklaven und Arbeiter schlagen.
Unterschätzen Sie niemals Grausamkeit als Motivationsfaktor für den Widerstand gegen eine sinnvolle Regulierung. In der Tat verwies Keynes auf die Vorteile, solche Grausamkeit der Tyrannei über Bilanzen statt über Menschen zu lenken.
Und schließlich, wie Keynes ebenfalls feststellte, besteht das Problem darin, dass der moderne Kapitalismus unter einer chronisch unzureichenden Gesamtnachfrage leidet, die durch übermäßige Ungleichheit und Arbeitslosigkeit noch verstärkt wird. Aus diesem Grund, so Keynes, versuche die Politik unnötigerweise, den Unternehmergeist zu fördern - durch unternehmensfreundliche Gesetze, Subventionen, Steueranreize und Deregulierung. Deshalb sei die angebliche Lösung für die Übel des Kapitalismus immer in der Förderung privater Investitionen und anderen angebotsseitigen Maßnahmen zu finden. Schauen Sie sich den typischen Präsidentschaftswahlkampf an, in dem regelmäßig "Geschäftserfahrung" als wichtige Eigenschaft für einen Kandidaten genannt wird. Es reicht nicht aus, jede Politik im Sinne des Unternehmers zu gestalten, man muss auch einen Unternehmer ins Weiße Haus bringen.
Aber das kann niemals funktionieren - weil es sich der Lösung eines imaginären Problems widmet - und fördert daher immer nur die weitere Bedienung von Geschäftsinteressen - alles mit Verweis auf die angeblichen Vorteile "freier Märkte" und "unsichtbarer Hände".
In Wahrheit pendelt der ungesteuerte Kapitalismus zwischen explosiven Spekulationswutausbrüchen und den darauffolgenden unvermeidlichen Zusammenbrüchen. Und ohne staatliche Rettungsaktionen im Crash kann die kapitalistische Wirtschaft in einen gefährlichen Schulden-Deflationsprozess eintreten, der nicht nur verheerend in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen ist, sondern auch eine gefährliche, faschistische Politik entfesselt. Aber mit solchen Bail-outs besteht der Anreiz, die Wirtschaft zu neuen Höhen aufzublähen, angeheizt durch immer skandalöseres Verhalten, das gegen das Gemeinwohl gerichtet ist.
In Wahrheit macht eine staatliche Führung den Kapitalismus stärker und kann ihn so lenken, dass er dem Gemeinwohl besser dient.
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